Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
227
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Ueber das vierte Buch.

lung geht er davon aus, dass herkömmlicherweise be­stimmte menschliche Handlungen als eine besondere Klasse ausgeschieden werden, als moralische oder un­moralische Handlungen. Die Frage ist, haben diese Handlungen wirklich gemeinsame Merkmale, und ist somit ihre Zusammenfassung berechtigt. Es ergiebt sich, dass die Handlungen, denen man moralischen Werth zuschreibt, die der Gerechtigkeit und der Menschenliebe sind, und dass ihr Merkmal ist:«ie haben keinen egoistischen Zweck.

Jede menschliche Handlung hat Wohl oder Wehe zum Zwecke, Nun ergeben sich drei Möglichkeiten, sie kann eigenes Wohl, fremdes Wehe oder fremdes Wohl bezwecken. Sofern das eigene Wohl Ziel des Handelns ist, nennen wir eine Handlung egoistisch, die Bosheit will fremdes Wehe, in beiden Fällen ist die Handlung nicht moralisch oder unmoralisch. Dagegen sind die Handlungen, die fremdes Wohl bezwecken, die weder egoistisch noch boshaft sind, moralisch. Wenn nun aber meine Handlung ganz allein des Anderen wegen geschehen soll, so muss sein Wohl und Wehe un­mittelbar mein Motiv sein. Wenn ich sein Wehe mit­fühle, muss ich auf irgend eine Weise mit ihm iden­tifizirt sein. Es ist also dieser Vorgang in gewissem Sinne räthselhaft, indessen müssen wir bei ihm inne­halten. Das Mitgefühl oder Mitleid ist das Urphänomen. Dieses Mitleid ganz allein ist die wirkliche Basis aller freien Gerechtigkeit und aller ächten Menschenliebe. Die unmittelbare Theilnahme am Andern ist auf sein Lei­den beschränkt, denn der Glückliche oder Befriedigte