Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
228
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Bemerkungen über Schopenhauers Lehre.

als solcher giebt uns kein Motiv zum Handeln. In­dem das Mitgefühl uns verhindert, Andere zu schöä­digen, führt es zu Gerechtigkeit, indem es uns antreibt, Anderen zu helfen und wohlzuthun, führt es zu Menschenliebe. Die Sache ist aber nicht so zu ver­stehen, als ob in jedem einzelnen Falle das moralische Handeln auf Mitleid zu beziehen wäre. Vielmehr hat die Kenntniss vom Zusammenhange der Dinge dahin zu führen, dass aus ihr Maximen erwachsen, die ein für allemal das Handeln regeln, und durch Uebung müssen diese Grundsätze in Fleisch und Blut über­gehen.

Erklären kann man das Mitleid nur, wenn man über die Erfahrung hinausgeht und es auf ein Gefühl der thatsächlichen, aber metaphysischen, nicht wahr­nehmbaren Einheit der Wesen bezieht. Der Mitleidige erkennt sich in jedem leidenden Wesen: tat twam asi (das bist du).

Gegen Schopenhauers Morallehre kann man an verschiedenen Stellen Einwände erheben, in der Haupt­sache aber muss man ihm Recht geben. Seine Ab­handlung gehört zweifellos zu dem Besten, was je über Moral geschrieben worden ist. Auf dem Grunde seiner Darlegungen haben die Späteren gearbeitet, und sie sind ihm zu Dank verpflichtet. Eine so ab­sprechende Kritik wie die E. v. Hartmanns erscheint mir als ungerecht, und ihren Schluss finde ich em­pörend(Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins. 1879. p. 240). Hartmann überschreibt seinen Aufsatz: Moralprinzip des Mitgefühls. Das erweckt die Vor­