Ueber das vierte Buch.
stellung, als hätte Schopenhauer das Mitleid zum Princip gemacht, etwa so: handle in jedem Falle So, wie es dein Mitleid gebietet, Schopenhauers Princip aber heisst: neminem laede, imo omnes quantum potes juva; das Mitgefühl ist nur die letzte Grundlage, die Quelle der Moral. Hartmann bezeichnet Schopenhauers Auffassung als einseitig und ungenügend, er selbst kennt eine Unzahl von sittlichen Triebfedern. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn Schopenhauer ausführlicher gewesen wäre, sich über die thatsächliche Entwickelung der menschlichen Gefühle, über die Beziehungen der Moral zur Kindesliebe, zum Familien- und Stammesgefühle und manches andere ausgelassen hätte. Indessen verlangen kann man es nicht von ihm, er musste sich in einer Preisschrift auf den Kern der Sache beschränken. Schopenhauer wollte keine Phänomenologie des sittlichen Bewusstseins schreiben, noch ein System der Ethik aufstellen, er wollte einfach zeigen, auf welche Quelle die im engeren Sinne als moralisch bezeichneten Handlungen zu beziehen seien. Man kann von Moralität doch nur auf der Stufe der Reflexion, der bewussten Unterscheidung der persönlichen Interessen sprechen. Solange wir ein vorwiegend instinctives Handeln vor uns haben, ein Handeln, bei dem der Handelnde ohne Ueberlegung und scheinbar egoistisch der Sache der Gattung dient, nennen wir es natürlich. Die mütterliche Fürsorge für die Kinder z. B. erscheint uns nicht als ein moralisches, sondern als ein natürliches Handeln. Lässt eine Mutter es daran fehlen, so nennen wir sie