Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
230
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Bemerkungen über Schopenhauers Lehre.

eine unnatürliche Mutter, und erst dann, wenn sie das Mitgefühl vermissen lässt, das man von jeder gewissen­haften Pflegerin verlangen kann, wird ihr Verfahren möralisch beurtheilt. Aehnlich ist es mit der Liebe zu Angehörigen überhaupt und zu Stammesgenossen. Zuletzt handelt es sich um Instinct. Wird reflectirt, so spaltet sich die Liebe in einen egoistischen Antheil und in Mitgefühl. Auch alle anderen Gefühle, die man als Vorstufen des Moralischen betrachten kann, er­weisen sich in ähnlicher Weise zusammengesetzt, so Treue, Pietät, die sehr verwickelte Gebilde sind und Liebe, Furcht, eigennützige Absicht, Gewohnheitzwang, Mitgefühl in sich fassen. Das Wort Liebe führt nur zu Missverständnissen. Abgesehen von der geschlecht­lichen Liebe, die doch ohne Weiteres auszuscheiden ist und eine von der moralischen toto genere verschie­dene Durchschauung des principii individuationis in Schopenhauers Sinne darstellt, sprechen wir von Liebe zu Personen, Dingen, Gedanken, und zwar ist das Wesentliche das, dass das Geliebte uns durch seine Gegenwart unmittelbar Freude macht. Dass ich einen Menschen liebe, erkenne ich daran, dass mir bei seinem Anblicke das Herz im Leibe lacht, und dass die Trennung von ihm mir schmerzlich ist. Ebenso kann man etwa einen Kunstgegenstand oder eine Gottes­idee lieben. Im letzteren Falle gewährt der Gedanke an Gott Glück, die Seele sehnt sich aus den Geschäften der Welt nach dem Gebet, d. h. nach der Beschäf­tigung mit dem geliebten Gedanken. Redet man nun von allgemeiner Menschenliebe oder gar von Feindes­

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