Ueber das vierte Buch.
liebe, so wird der Begriff ganz verschoben. Dass Je: mand alle Menschen in dem Sinne liebe, wie er seine Nächsten liebt, das hat gar keinen Sinn, denn Lieben heisst eben, einen nicht so auffassen wie die Anderen, ihm einen Vorzug gewähren, weil er uns lieber ist als die Anderen. Dass aber Jemand am Anblicke seiner Feinde ohne egoistische Nebengedanken Freude haben könnte, das will mir als ganz unsinnig vorkommen. Wir können mit allen Menschen und auch mit unseren Feinden Mitgefühl haben, sodass wir sie nicht nur nicht schädigen, sondern nach Kräften zu fördern suchen, aber lieben können wir sie nicht. Dies nur nebenbei gegen die Gewohnheit, mit der Viele, besonders unter den Christen, durch das beliebte Wort Liebe auf die Sentimentalität wirken, Verschiedenartiges zu einem Brei zusammenrührend. Alle Triebe oder Gefühle, die durch ihren Gehalt an Mitgefühl Beziehung zur Moralität haben, konnte Schopenhauer ruhig übergehen. Dagegen vermisst man wirklich eine Auseinandersetzung über den Trieb zur Vergeltung, der als Rache mit dem Rechte, als Dankbarkeit mit der Liebe verwandt ist und doch selbständig ist. Freilich würde die Vervollständigung der Betrachtung keinen grossen Vortheil gebracht haben, da der Trieb zur Vergeltung trotz seiner historischen Bedeutung für die höhere Entwickelung unfruchtbar ist, sozusagen einen Nebenbetrieb darstellt.*)
*) Ueber die Rache vgl.$ 64 des 1. Bandes vom Hauptwerke.