Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
232
Einzelbild herunterladen

Bemerkungen über Schopenhauers Lehre.

Wenn Hartmann Schopenhauers Lehre als Ge­fühlsmoral hinstellt, als eine untere Stufe, die der Ver­nunftmoral zu weichen habe, so dürfte das nicht be­rechtigt sein. Jedes Gefühl lässt sich in Begriffe über­setzen, aber nicht jeder Begriffscombination liegt ein Gefühl zu Grunde. Die meisten Philosophen als Mo­ralisten sind von Begriffen ausgegangen und in Be­griffen stecken geblieben. Schopenhauers Verdienst ist eben, dass er zur Grundlage der Moral hinabstieg und in dem Mitgefühle den Eckstein des Gebäudes fand. Dass er aber den Eckstein für das ganze Haus gehalten habe, das kann man doch nicht sagen. Seine Aufgabe war die Auffindung des Fundamentes, er konnte sich daher im Uebrigen auf Andeutungen be­schränken. Indessen hat er deutlich genug auf die Nothwendigkeit hingewiesen, aus dem zunächst ge­fühlsmässig Gegebenen feste Grundsätze abzuleiten. Hartmann meint spöttisch, nach Schopenhauer sei die Gerechtigkeit auf Flaschen gezogenes Mitleid. Nun, so ist es in der That, Schopenhauer sagt selbst, die Grundsätze seien das Reservoir der Moralität. Wenn die Achtung aller Rechte aus vernünftiger Ueberlegung hervorgeht, sagt Hartmann, habe sie eine ganz andere Wurzel als das Mitgefühl. Eine solche Behauptung ist mir ganz unverständlich. Entweder gründet sich der Vorsatz, gerecht zu sein, auf practische Vernunft, d. h. die Erwägung, dass es vortheilhaft sei, dann ist von Moralität keine Rede, oder er gründet sich auf das Mitgefühl, das sich scheut, einem Anderen Un­recht zu thun: tertium non datur. Sagen wir statt