Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
233
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Ueber das vierte Buch.

Vernunft, um Missverständnisse zu vermeiden, Re­flexion, so ergiebt sich, dass Reflexion allein keine Moral geben kann, weil das Handeln des Menschen in erster Linie von Gefühlen abhängt, und überaus starke Gefühle, Schopenhauers antimoralische Trieb­federn, den Menschen zum Egoismus treiben. Auch unter der Annahme(per impossibile), es wäre der Reflexion ohne moralisches Gefühl gelungen, zur me­taphysischen Wahrheit des tat twam asi zu gelangen und die Wesens-Einheit zu erkennen, hätten wir nichts gewonnen, denn die nur in Begriffen gegebene Wahr­heit würde gegen. die Macht der egoistischen Gefühle nichts ausrichten. Es muss also eine Moral, die mehr sein will als ein Hirngespinnst, Gefühlsmoral sein. Andererseits bedarf das Gefühl der Reflexion, damit auf seinem Grunde ein bewohnbares Haus gebaut werde. Eine blosse Gefühlsmoral würde den An­forderungen des Lebens nicht genügen, sie wäre, wie Schopenhauer und nach ihm Hartmann ganz treffend auseinandersetzen, eine Art von Carricatur der Weiber­moral, das gute Herz ohne Verstand.

Nun besteht doch kein vollkommener Gegensatz zwischen Gefühl und Vernunft. Vielmehr zeigt eben Schopenhauer, dass unser moralisches Gefühl nichts ist als die höchste Vernunft. Das, was erst als In­stinct, dann als Mitgefühl der Alleinherrschaft des Egoismus entgegentrat, den Kampf der individuellen Willen mässigte, als holder Klang im irdischen Ge­wühle, das ist zugleich die letzte Frucht unseres Denkens, somit von vornherein ein Theil der uns un­