Teil eines Werkes 
Bd. 4 (1904) Schopenhauer
Entstehung
Seite
257
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Ueber das vierte Buch.

Der Inhalt der Lehre ist nun wirklich bei Schopen­hauer und bei den beiden wichtigsten Religionen der­selbe: Verneine deinen Willen! Der auf dem rechten Wege sein Selbst Ueberwindende erlangt Erlösung, sagt Buddha. Will mir Jemand nachfolgen, der ver­leugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir, sagt Christus. Dass das Kreuz die Hauptsache sei, ist freilich in der christlichen Lehre nicht ebenso klar gesagt, wie bei Buddha die Selbst­überwindung vorangestellt wird. Indessen auf die Praxis kommt es an, das Reich Gottes stehet nicht in Worten, sagt der Apostel, sondern in Kraft. Ver­gleicht man die christliche und die buddhistische Praxis, so ist gar nicht zu verkennen, dass das Wesent­liche dasselbe ist, nemlich die Selbstverleugnung, dass die christlichen und die buddhistischen Heiligen Brü­der sind. Wenn nun auch die Religion das Heil in die Ferne rückt, so bricht doch die Erkenntniss, dass für Den, der sich hingiebt, das Heil schon da sei, immer durch. Wer mein Wort hört, sagt der johan­neische Christus, der hat das ewige Leben; wer sich überwindet, der hat Nirwana, sagt Buddha. Das, was Buddha als Nirwana schildert, ist genau dasselbe, was die Christen als den Frieden Gottes bezeichnen, das Glück, das der Religiöse empfindet. Eben so wie bei den Religionen den einfachen Kern der Lehre eine krause Dogmatik umwuchert, so ist auch bei Schopen­hauer die Erkenntniss des Heiles von Dogmen ge­trübt. Aber in der Hauptsache hat er Recht. Auch darin hat er Recht, dass der Weg zum Heile durch

Möbius, Werke IV.