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Gespräch im Nebel : Leibniz besucht Spinoza / von Leo Hirsch
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brauchte sich auch nicht unnötigerweise in Gefahr zu begeben. Wenn es jetzt unmöglich war, sein HauptwerkDie Ethik" zu veröffentlichen, so würde es dennoch zu seiner Zeit bekannt werden. Da es die Wahrheit enthielt, würde es immer zu­recht kommen. Ob der Autor das erlebte oder nicht, war gleichgültig. Er hatte keine Ehrsucht.

Leibniz sah auf und hielt inne. Wovon hatte er eben gesprochen? War er unaufmerksam ge­worden, weil auch Spinoza ‚nicht aufgemerkt hatte? Oder weil Spinoza ihn zu aufmerksam be­trachtete? War es nicht beinahe unhöflich, einen Menschen so anzusehen? Ja, bei Hofe mußten auch die Augen sich in verbindlicher Weise halten, sie durften begehrlich oder spöttisch dreinblicken, aber nicht so genau, so sezierend. Unsicher ge­worden, wandte Leibniz den Blick ab und sah sich im Zimmer um. Aber er fand nichts in der einfachen, zweckmäßigen Einrichtung des Rau­mes, worauf er sein Auge ruhen lassen konnte, und wenn er zum Fenster hinaussah, packte ihn sogleich wieder der kühle, kluge Blick von Spi­nozas großen dunklen Augen. Ihm war nicht ganz wohl unter diesen Augen. Warum hatte er sich Jahre lang so inständig abgemüht, diesen Mann von Angesicht zu Angesicht zu sehen, wenn der nun erfüllte Wunsch dieses Anblicks ihn be­

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