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Gespräch im Nebel : Leibniz besucht Spinoza / von Leo Hirsch
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es mit seinem unendlichen Gleichmut als einen unendlichen Bestand. Für Leibniz war nichts un­endlich, doch alles Beginn und Ablauf, und nur Spinoza sah es in seinem unendlichen Gleichmut als einen sich immer gleichen Bestand. Gott war eine unendliche, stille, unbewegte Klarheit für Leibniz gab es nur eine heranbrausende, wilde, bewegte Dunkelheit, die vielleicht einmal sich 1ö­sen würde, und alles würde dann gut und har­monisch sein. Das Schleifrad surrte nebenan. Er glaubte, das Gesicht Spinozas durch die Wand zu sehen. Die schmalen, ausgezehrten, olivenfarbigen Wangen , die schweren Augenlider, die dunklen Brauen, die großen Augen, dies ganze, edle, jüdi­sche, traurige Gesicht mit den gelassenen, großen Blicken der ewige Jude? dachte er und berich­tigte sich: der unendliche Jude. Nun glaubte er den Schlüssel zu allem zu haben. Spinoza schien ihm seit Jahrtausenden aus diesen Manuskript­blättern zu blicken, der Jude, der Mensch vom Volke des unsichtbaren, unendlichen, statischen Gottes, in dem alles beschlossen ist, in dem alle Dinge und Ideen sind. Sein Gott aber, Leibniz Substanz, war in den Dingen und Ideen, war die

Kraft und die Bewegung, ein junger, eben ge­

borener, immer sich von neuem gebärender, dy­namischer Gott! Eine Vision nur? Eine Vorstel­

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