Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1958) Gedichte
Entstehung
Seite
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WEIDENBAUM

Fern den Menschen, hoch emporgeschossen,

das Geäst eng um den Stamm geschlossen,

steht der Weidenbaum am Bachesrand.

All sein Wuchs weist streng und ernst nach oben. Zweige sind gleich Armen steil erhoben.

Wie ein Beter wacht er überm Land.

Nimmer kann ein Wechsel ihn beirren. Sommerhauch läßt leis die Blätter klirren, da die Welt an Träume sich verlor.

Wenn im Herbst die wilden Stürme jagen, ist sein Laub wie Brand, und Lohen schlagen knisternd ihm am Leib des Stamms empor.

Sei er Mönch in friedevoller Zelle, Märtyrer, um den das grausam-grelle Flammenmeer des Scheiterhaufens rauscht, immer bleibt er uns der Weltentrückte, immer der geheimnisvoll Beglückte,

der ins Ewige hinüberlauscht.

Rühmt ihr torenlaut die lauten Täter? Zürnt ihr, weil euch nie der müßige Beter süße Früchte vor die Füße warf?

Täter mögen auf den Nutzen sehen. Beter müssen um den Segen flehen,

dessen die zerquälte Welt bedarf.

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