Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1958) Gedichte
Entstehung
Seite
56
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GEWACHSENE WEISHEIT

Durch die verschwiegene Rindenhülle raunt der Baum sein Geheimnis leis. Da ihn gewachsener Weisheit Fülle selig bedrängt, so gibt er sie preis:

Wachsender Baum, der im Hingehn der Jahre freien Raum sich herrisch bezwingt,

nimmt das Außen nur, daß er erfahre,

wie ihm die Wandlung in Innres gelingt.

Seht den Ring, der, zum Raub sich erkühnend, außen die älteren Brüder umspannt!

Übers Jahr hat mein Wachsen ihn sühnend

zu den andern ins Innen gebannt.

Also in jährlichem Neubeginnen

leb ich das Außen in mich hinein, lasse es tiefere Tiefen gewinnen.

Einst wird das Außere Innerstes sein.

Vorschnelle Klugheit baut für die Vielen. Langsam findet vom schwächlichen Reis

wachsende Weisheit zu Stärke und Zielen, und nur dem Wartenden gibt sie sich preis.