Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1958) Gedichte
Entstehung
Seite
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GEBET UM TRÄNEN

Als noch sein Grün ihn deckte, den Seelengrund, war ihm in Zuversicht auch Bangen kund.

Über die Felder des Lebens, da Hoffnung lacht, müssen die Tränen niedergehen bei Nacht.

Geister der Nacht gehn weinend über die Au. Gräser und Blumen trinken die Tränen als Tau.

Tödliche Dürre schlug den gemiedenen Ort, und in dem öden Geröll sind die Halme verdorrt.

Gräbst du nach Quellen? Ach, du verbiegst nur dein Scheit an dieser steinernen Unerbittlichkeit.

Siehe, nun hat dein Schlag die Höhle entblößt, aus der ein Natternkopf dir entgegenstößt.

Züngelnd vor dem verschütteten Brunnenschacht hält das Gezücht höhnisch die böse Wacht.

Was sich in Tiefen der Seele sickernd verlor, steigt es als Grundwasser niemals wieder empor?

Bleibt in den Höhlen der Augen die Leere, der Brand? Treten die Tränen nie mehr über den Rand?

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