Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1958) Gedichte
Entstehung
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MORGENSCHLÄFERS WINTERPREIS

Sei mir gegrüßt, o Winter! Du machst uns die Erde zur Heimat, zeigst dich den Träumern geneigt, fügst die Verstoßenen ein. Einmal-leben auch wir nun mit allen Dingen im Einklang, und aus den Schauern der Scham heben wir stolz unser Haupt.

Wenn wir im ruhlosen Sommer, mit Widerwillen gehorchend

strengen Geboten der Pflicht, endlich uns trennen vom Traum,

steht, einem Fronvogt vergleichbar, die Sonne breitbeinig am Himmel,

schwingt ihre Peitsche und lacht mit Überhebung uns an,

reißt mit dem Stolze des Wachen und mit dem Recht ihrer Röte

bläßlichen Träumern voll Hohn letzte Gespinste entzwei.

Aber der Winter ist milde; für alte, vertrauliche Spiele mißt er mir morgens die Zeit lächelnd und langmütig zu. Schwindelfrei gehn die Gedanken, und ihrem Seiltänzermute dehnt sich ein lockender Pfad: Grat zwischen Wachen und Traum. Für die besondere aber, die Heldenentschließung des Aufstehns find ich am Grund meiner selbst leer die Gemäße der Kraft. Wenn ich sie erst mit Ermahnung und vielen vernünftigen Gründen langsam bis an den Rand mühselig vollträufeln muß, ist das Gewissen beschwichtigt, weil draußen im Rahmen der

; Fenster rundum vergleichbarer Not tröstliches Bild sich mir zeigt. Spärlich erleuchtete Fenster der fernverdämmernden Straßen, vor meinem Fenster der Baum, alles sichtbare Ding reibt sich die Augen mit Fäusten, ist mißgelaunt, müde und fragt

mich:

Sage uns doch, Bruder Mensch, fällt es denn dir auch so schwer?

Aber am Ende wird alles, das Schwerste auch, überstanden, und mit begründetem Stolz werf ich die Haustür ins Schloß. Übernächtig wie Posten, die keine Ablösung fanden, stehen am Rand meines Wegs müde Laternen gereiht.

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