Teil eines Werkes 
Bd. 1 (1958) Gedichte
Entstehung
Seite
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Dankbarlich rühm ich die Führung, die ich im Leben erfahren. Sei mir gepriesen, du Dorf, das meine Kindheit umschloß! Lächelt ihr hochmütig, Städter? Meint ihr, die Buntheit der Märkte und der betriebsame Lärm, der euch die Sinne erhitzt, meint ihr, das Fieber der Nächte, das in den flirrenden Sälen seinen verwirrenden Dunst giftig zu Schwaden vereint, meint ihr, dies weise den Weg euch hinab in den Fruchtkern des

Lebens, und das betrogene Dorf müh an der Schale sich ab?

Früh lernt das Kind in der Stadt, die Menschen als Schemen zu

sehen,

Wer denkt dem Schwindenden nach? Eigenes, Wirkliches drängt. Nichts treibt den Städter, zu wissen vom Manne im oberen

Stockwerk,

und er begnügt sich mit dem, was ihm der Zufall enthüllt, was ihm ein flüchtiges Treffen verrät auf den Stufen der Treppe, die noch am sonnigsten Tag in ihrem Dämmer verharrt.

Und man erkennt die Bewegung, mit der sich die Rechte zum Gruß

hebt, und man entsinnt sich der Stimme; aber schon nicht mehr bestimmt.

Stets bleibt im Banne des Dorfes einer dem anderen Nachbar, und alles Eigne ist fest in alles Andre verstrickt.

Da ist nicht Brudersinn immer, Mittragen, Mittrauern, Mitfreuen; da wird geneidet, gehaßt; das falsche Zeugnis geht um.

Wird in den Städten das Leben dem Kinde sorgsam verschleiert, liegt es im Dorfe ihm bloß, zeigt ihm sein wahres Gesicht.

Da ist das nackte, das rote, das grausame, liebende Leben,

und ins Erhabene sieht wie ins Gemeine das Kind.

Frühe schon muß es sich üben, mit oft noch versagenden Kräften

liebend und hassend hinein ins Leben der andern zu gehn,

und das verständige Zuschaun kühler, berechnender Städter

lernt es am Ende nur spät und in der Schule der Stadt.

Habt euren Frieden, ihr Toten! Schlaft eurem Tage entgegen!

Wieder fällt am Granit kreischend das Tor in sein Schloß.

Nun verdämmert der Herbsttag; der Nebel wird dichter und dichter;

tiefer senkt er sich hin über das schweigende Dorf.

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