Ueber die innere Verfassung der adlichen Patrimonialgerichte des platten Landes in älterer Zeit herrschte bisher völliges Dunkel; nur wer erwog, daß ächte Freiheit nach oben in nothwendiger Consequenz allemal das Anerkend nen eines Rechtszustandes in den unteren Kreisen zur Folge haben muß, wer den tiefen Nechtssinn der deutschen Vorzeit fennt), fonnte ohne weitern Beweis annehmen, daß auch in den germanisirten Slavenländern der Bauer niemals einer völligen Willkühr des Gerichtsherrn unterworfen gewesen sein könne**). Neuere Forschungen haben dies vollkommen be ftätigt und eine Seite der alten Patrimonialgerichtsbarkeit, welche in dem vielen theoretischen Geschreibe über diese Sache ganz vergessen worden ist, hervorgehoben, nemlich die Zuziehung der Gerichtseinsassen bei der Rechtsprechung, welche sich grade bei diesen Gerichten am längsten lebendig erhalten hat. Auf den Dörfern des Klosters Lehnin gab es im funfzehnten Jahrhundert ein Bauernding, welches als ein rechtes echtes Ding alljährlich mit Urtheil und Recht von den Richtern, Schöppen und der Bauerschaft von sechs Dörfern gehegt und bei dem sogar ein eignes Schöppenbuch gehalten wurde***). Ähnliche Vogtsgedinge kommen auf den Gütern des Kloster Colbat in Pommern vor, wo von sich das eine, in dem Dorfe Jinger, bis in das vorige Jahrhundert erhalten hat, auch wurden in Hinterpommern noch im vorigen Jahrhundert die s. g. Kaspel oder Kuhrgerichte zur Entscheidung der Feldstreitigkeiten von den Bauern felbst abgehalten, wobei der Prediger den Gerichtsschreiber machte****). Unten folgende Urkunden*****) beweisen, daß adliche Dörfer der Mittelmark im funfzehnten Jahrhundert Richter, Schöppen und Kirchenbitter, also eine geo: dnete Dorfsver fassung, besaßen und in der Altmark †) sind sogar alte Bauern und Vogtdingsordnungen zum Verschein gekommen, welche ihrem Ursprunge nach auf Bauerweisthümer gegründet zu sein scheinen, deren Eristenz in slavischen Gegenden man hat ableugnen wollen. Die gedruckten Gerichtsverhandlungen ergeben, daß bei diesen Dorfsgerichten, sogar bei den peinlichen, ganz das altdeutsche Verfahren bestand, wonach der Richter den Geschwornen oder Schöppen und den s. g. 3wanzigmännern oder Landsassen aus dem Bauerstande t) das Urtheil abfragte. Diese Zuziehung der Landleute hat bis in das vorige Jahrhundert gedauert, wo die gelehrten Nichter allmählig die Theilnahme des Bauerstandes, Verfü gungen von oben her und steigender Egoismus die Mitwirkung der Gutsherrn verdrängt haben, bis endlich diese Gerichte den Berechtigten eine Last geworden sind und für die Gerichtseinsassen nur noch das Wohlthätige des Einzelrichters bewahren.++)- Marfengerichte, welche von einem Gesammteigenthum ausgehen, hat es in der Mark Brandenburg nicht gegeben, etwas ähnliches sind etwa die ehemaligen Communiongerichte der Zeidler oder Bienenzüchter um Köpnick und Fürstenwalde tttt). Wir nehmen hier die eigentliche Absicht dieses Aufsatzes, von der wir durch die bisherigen Untersuchungen fast wider Willen verschlagen worden sind, wiederum auf, nemlich aus dem nachfolgenden Gerichtsbuche ein kurzes Bild des prozessualischen Verfahrens zu geben, wie es am Ende des funfzehnten Jahrhunderts bei dem churfürstlichen Kammerges richt statt hatte it).
) Ein Rechtssinn, der so weit ging, daß der Berechtigte sich seine Rechte von den Verpflichteten selbst zuweisen ließ, irfen wie die Weisthiimer, Latenordnungen u. s. w. in ganz Deutschland beweisen. Daß im Mittelalter viele Gewaltthätigkeiten ver Riedel übt worden seien, wird damit nicht geleugnet, wohl aber daß jemals Gewalt für Recht gegolten habe.
**) Eben so falsch ist es aber gewiß, wenn neuerdings alle und jede Gutsherrlichkeit der Ritterschaft für die ältre
Seit abgelengnet und dafür eine bloße Zinsberechtigung angenommen worden ist.
***) Dr. Riedel Diplom. Beiträge p. 159 und 207.
****) Arndt Gesch. der Leibeigenschaft in Pommern p. 233. Wo findet sich etwas Näheres? *****) Nro. 107, 28.
†) Siehe den in jeder Beziehung lebrreichen Aufsatz des Frbrn. von Harthausen die patrimoniale Gesetzgebung in
Altmark im 77sten Heste der Jahrb. der pr. Gesetzgebung.
+) Mablte diese die Gemeinde, wie die Thegeder in Westphalen? Kindlinger münstersche Beitr. Bd. 2. p. 284. ttt) Die( an fich schon ganz unmögliche, auf leerer Abstraction beruhende) Trennung zwischen Urtheil über die That. fache und über das Recht bei neueren Geschworengerichten beraubt diese grade der wichtigsten Seite der altdeutschen Volksgerichte, der Erhaltung des lebendigen Rechtsfinnes.
tttt) Oelrichs Bitthener Recht 1792 p. 7.
ttttt) Womit man Maurers Darstellung des alteren Gerichtsverfahrens, welche wenigstens für diese spätern Zeiten bes friedigend ist, vergleichen mag.