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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
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Gesetzgeber und Politiker: Spinoza 53

rede zum Tractatus, «daß die Gesetze, die Gott dem Mose offenbart, nichts anderes waren als einzig die Rechtsord­nung des hebräischen Reiches und daß demnach außer ihnen auch niemand anders sie anzunehmen brauchte, ja daß sie selbst nur so lange, wie ihr Reich bestand, an sie gebunden waren.» 50

Während Maimonides rabbinisches Hauptwerk Miscb- ne Tora («Wiederholung der Tora») die maßgebliche mit­telalterliche Kodifizierung der in Talmud und Tora enthal­tenen Religionsgesetze ist und während sich Maimonides während langer Jahrzehnte der Auslegung der unwandel­baren Rechtsordnung der Tora Israels widmete, wird der Tora von Spinoza gerade ihr einzigartiger religiöser Cha­rakter der immerwährenden Gültigkeit abgesprochen und sie zur nur profanen Rechtsordnung des mit der Zerstö­rung des Tempels längst untergegangenen Reichs der He­bräer degradiert. Die Tora wird damit historisiert und pro­faniert, denn sie gilt nur noch als ein vergängliches, irdi­sches Dokument aus einer vergangenen Epoche. Darüber hinaus wird, nach Untergang des Reichs der Hebräer, so­gar die gegenwärtige Relevanz der Tora für die Juden be­stritten und dem rabbinischen Judentum in Vergangenheit und Gegenwart damit der Lebensnerv abgeschnitten.

Ganz folgerichtig ändert sich damit auch die Rolle des Moses. Nicht nur beweist Spinoza im 8. Kapitel des Trac­tatus, daß die Tora nicht von Moses selbst aufgeschrieben wurde, er bestreitet auch, daß Moses ein Prophet gewesen sei und daß er, wie die Tora, der Talmud, Maimonides und der Siddur sagen, Gott geschaut habe. 51 Da die Tora lediglich die Rechtsordnung für das Reich der Hebräer war, war Moses kein Prophet, sondern lediglich ein Ge­setzgeber, also einer der von Maimonides verachteten Po­litiker. Das Argument des Maimonides, Gottes Tora spre­che wegen deren begrenzter Fassungskraft die Sprache der Menschen, spitzt nun Spinoza auf die Pointe zu, die Tora als menschliche Rechtsordnung habe lediglich das zeit­liche Wohl des Hebräer-Staates zum Ziel gehabt und ihre