Druckschrift 
Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
58
Einzelbild herunterladen

5 8 Moses und die Tora

Da Michaelis der berühmteste protestantische Hebraist seiner Zeit, überdies ein anerkannter Aufklärungstheologe, Publizist und angesehener Professor der <aufgeklärten> Göt­tinger Universität war und als ausgezeichneter christlicher Kenner des Judentums galt, bedeutete seine Auffassung des mosaischen Rechts als staatliches Recht für Mendelssohn eine Herausforderung aus der Mitte der deutschen Aufklä­rung heraus, gegen die er als Tora-treuer Jude die göttliche Inspiration der Tora und ihren Charakter als gottgegebene Offenbarung verteidigen mußte. In einer indirekten Polemik gegen Michaelis, der sich 178z gegen die bürgerliche Ver­besserung der Juden in der Gegenwart ausgesprochen und diese für prinzipiell unmöglich erklärt hatte, 61 bezeichnete Mendelssohn das von Michaelis maßgeblich beförderte Ge­rede vom «Gesetzgeber Moses», der die heruntergekomme­nen, verwirrten, gerade aus Ägypten geflohenen Juden mit einer Staatsordnung versieht, als «Modesprache». Er be- harrt seinerseits darauf, daß «der Gesetzgebende Gott un­serer Väter: ... es gleichwohl möglich gefunden, diesen rohen Haufen zu einer ordentlichen, blühenden Nation umzubilden, die erhabene Gesetze und Verfassung, weise Regenten, Feldherren, Richter und glückliche Bürger auf­zuweisen hat». 62 Gesetzgeber am Sinai war sonach allein Gott, der das Volk Israel durch seine Gesetze erst von einem rohen Haufen zu einer Nation mit Gesetzen und Verfassung umbildete; übrigens lange bevor dies den rohen Völkern in den «nördlichen Einöden» geschah, die heute auf die Juden herabblicken, wie Mendelssohn maliziös anfügt.

Überhaupt, so argumentiert er in Jerusalem, enthält das Judentum in schriftlicher und mündlicher Tora weit mehr als die für ein Staatswesen nötigen Gesetze und Be­stimmungen. Neben den Lehren von den «ewigen Wahr­heiten von Gott» wie der Existenz und der Providenz Gottes, die allein durch die Vernunft erkennbar sind, kennt das Judentum aus der Tora «Geschichtswahrhei­ten, oder Nachrichten von dem Schicksale der Vorwelt, hauptsächlich von den Lebensumständen der Stammväter