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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
59
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Medium der geoffenbarten Gesetzgebung: Mendelssohn 59

der Nation; ... von dem Bunde, den Gott mit ihnen er­richtet und von der Verheißung». Diese Geschichtswahr­heiten werden von Generation zu Generation tradiert und «auf Glauben angenommen». Darüber hinaus aber hat das Judentum drittens «Gesetze, Vorschriften, Ge­bote, Lebensregeln, die dieser Nation eigen seyn, und durch deren Befolgung sie sowohl zur Nationalglückse­ligkeit, als jedes Glied derselben zur persönlichen Glück­seligkeit gelangen sollte. Der Gesetzgeber war Gott ». 63

Gemäß Mendelssohns Einteilung hat Gott den Juden weit mehr Gesetze und Lebensregeln geoffenbart, als für ein Staatswesen nötig sind, weil ihm an der «persönlichen Glückseligkeit» jedes Juden gelegen ist, die sich durch Staatsgesetze fördern, aber nicht durch sie erreichen läßt. «Privatglückseligkeit» und Individuum, aber auch Ge­selligkeit und Gesellschaft verlangen ganz andere Gebote als der Staat. Auch diese Gebote hat Gott in der Tora ge­offenbart, die über das «Zeremonialgesetz» nicht nur die religiösen Belange, sondern auch den staatsfernen Alltag bis hin zur Ernährung und Ehe der Juden regelt. All dies zusammengenommen, läßt sich die Tora für Mendelssohn nicht auf eine Staatsgesetzgebung reduzieren, wie dies Spinoza und Michaelis meinten.

Mendelssohns Hauptargument aber bleibt immer, daß Gott und nicht Moses der Gesetzgeber all dieser Gesetze, Vorschriften, Gebote, Lebensregeln und Zeremonialge- setze ist, welche die Tora enthält: «Diese Gesetze wurden geoffenbaret, d.h. von Gott durch Worte und Schrift be­kannt gemacht. Jedoch ist nür das Wesentlichste davon den Buchstaben anvertrauet worden; und auch diese nie­dergeschriebenen Gesetze sind, ohne die ungeschriebenen, mündlich überlieferten und durch mündlichen, lebendigen Unterricht fortzupflanzenden Erläuterungen, Einschrän­kungen und näheren Bestimmungen, größtentheils unver­ständlich, oder mußten es mit der Zeit werden; weil alle Worte und Schriftzeichen kein Menschenalter hindurch ihren Sinn unverändert behalten .» 64