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Moses und die Tora
Hier rettet Mendelssohn gegen Spinoza und Michaelis nicht nur den Offenbarungscharakter des Pentateuch, er rettet vielmehr auch die mündliche Tora, das ungeschriebene Gesetz, das Talmud und Halacha durch die Zeiten tradieren und welche die geschriebene Tora vom Sinai notwendig begleiten, auslegen und dadurch bis in die Gegenwart verständlich halten. Gegen die radikal aufgeklärte Profanierung verteidigt Mendelssohn hier und in seinem Berliner Alltag nicht nur die ganze, die für ihn untrennbare schriftliche und mündliche Tora als Offenbarung, er verteidigt neben dem Pentateuch auch Talmud und Halacha als notwendigen und integralen Bestandteil von Judentum. Dies ist eine Verteidigung der durch die Aufklärung allgemein, aber auch durch viele Maskilim in Zweifel gezogenen Legitimität des rabbinischen Judentums.
Diese sehr konservative Einbeziehung des Talmud als ungeschriebenes Gesetz unter den Oberbegriff der Tora, die hier ganz entsprechend der Tradition, wenn auch mit rationalisierender Begründung (drohende Unverständlichkeit der schriftlichen Tora) begründet wird, ist bei Mendelssohn um so erstaunlicher, als er gegen den Widerstand vieler Rabbiner den Pentateuch vom Hebräischen ins Deutsche übersetzt und diese Übersetzung in hebräischen Lettern, versehen mit einem traditionellen rabbinischen Kommentar (<Bi’ur>) in Hebräisch publiziert hatte. 65 Das geschah 1780-1783, der letzte Band mit der Übersetzung des Deuteronomium erschien Anfang 1783, also im selben Jahr wie Jerusalem.
Mendelssohn war damit einer der besten Kenner der fünf Bücher Mose und der dazugehörigen rabbinischen Kommentarliteratur in seiner Zeit. Überdies war die Pentateuch- Übersetzung mit all ihren Unbilden, mit der engen Zusammenarbeit mit Salomo Dubno und Naftali Hartwig Wessely, mit den ablehnenden Invektiven der Rabbiner von Prag, Altona oder Fürth eine der schwierigsten, zeitraubendsten und umfangreichsten literarischen Unternehmungen im Leben Mendelssohns. Sie hatte ihn schon in den spä-