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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
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Moses und die Tora

Hier rettet Mendelssohn gegen Spinoza und Michaelis nicht nur den Offenbarungscharakter des Pentateuch, er rettet vielmehr auch die mündliche Tora, das ungeschrie­bene Gesetz, das Talmud und Halacha durch die Zeiten tradieren und welche die geschriebene Tora vom Sinai not­wendig begleiten, auslegen und dadurch bis in die Gegen­wart verständlich halten. Gegen die radikal aufgeklärte Profanierung verteidigt Mendelssohn hier und in seinem Berliner Alltag nicht nur die ganze, die für ihn untrennbare schriftliche und mündliche Tora als Offenbarung, er vertei­digt neben dem Pentateuch auch Talmud und Halacha als notwendigen und integralen Bestandteil von Judentum. Dies ist eine Verteidigung der durch die Aufklärung allge­mein, aber auch durch viele Maskilim in Zweifel gezoge­nen Legitimität des rabbinischen Judentums.

Diese sehr konservative Einbeziehung des Talmud als ungeschriebenes Gesetz unter den Oberbegriff der Tora, die hier ganz entsprechend der Tradition, wenn auch mit rationalisierender Begründung (drohende Unverständlich­keit der schriftlichen Tora) begründet wird, ist bei Men­delssohn um so erstaunlicher, als er gegen den Widerstand vieler Rabbiner den Pentateuch vom Hebräischen ins Deutsche übersetzt und diese Übersetzung in hebräischen Lettern, versehen mit einem traditionellen rabbinischen Kommentar (<Biur>) in Hebräisch publiziert hatte. 65 Das geschah 1780-1783, der letzte Band mit der Übersetzung des Deuteronomium erschien Anfang 1783, also im selben Jahr wie Jerusalem.

Mendelssohn war damit einer der besten Kenner der fünf Bücher Mose und der dazugehörigen rabbinischen Kom­mentarliteratur in seiner Zeit. Überdies war die Pentateuch- Übersetzung mit all ihren Unbilden, mit der engen Zusam­menarbeit mit Salomo Dubno und Naftali Hartwig Wes­sely, mit den ablehnenden Invektiven der Rabbiner von Prag, Altona oder Fürth eine der schwierigsten, zeitrau­bendsten und umfangreichsten literarischen Unternehmun­gen im Leben Mendelssohns. Sie hatte ihn schon in den spä-