66 Moses und die Tora
Hier wird zu Anfang kurz die konventionelle Rolle des Moses als wichtigstem Propheten angedeutet, aber diese Reminiszenz an die rabbinische Tradition wird sehr schnell abgelöst durch die Schilderung seiner Heldentaten. So wird Moses nach der Rettung der sieben Töchter des midianitischen Priesters Re’uel vor der Bedrängung durch Hirten von diesem begrüßt:
«Beehre mich, o Biedermann! und nimm mit mir das Mahl;
Dank dann für den Heldeneifer, zur Rettung meiner Töchter .» 71
Moses ist nicht als Prophet oder Gesetzgeber, sondern als durchaus irdischer, zum Biedermann verbürgerlichter «aedler Held» das Werkzeug Gottes zur Rettung seines Volkes aus Ägypten:
«Wunder wollte er wirken durch ihn, dem Stolzen ihn entgegen stellen.
Die Erde sollte seinen Befehl vollziehen, dem Firmamente er gebieten;
Des Fürsten Hochmuth beugen, des Königs Schrekken sein.
Unter vielen tausenden erkohr er Einen,
Senkte seinen Geist auf den aedlen Helden nieder.
Hohe Majestät auf einen sanften, demuthsvollen Mann .» 72
Mit solchen Zeilen erhält die Moses-Figur in der jüdischen Aufklärung eine dritte Rolle: Moses ist, neben seiner Rolle als Prophet und Gesetzgeber, eine epische Heldenfigur des Judentums, ein Vorbild mit historischen, nicht mythologischen Zügen, irgendwo in der Mitte zwischen einem sanften christlichen Heiligen und Wilhelm Teil, aber extrem weit entfernt von einem chassidischen Zaddik. Dabei stand Wessely nach Erziehung und Weitsicht noch tief in der rabbinischen Tradition, von der er sich allenfalls implizit absetzt. Auf den ersten Blick bedeu-