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Moses und die Tora
gion? Anders gefragt: Was dürfen die die Religion allererst generierenden Menschen hinsichtlich der Absichten und des Plans Gottes annehmen? Aschers Auskunft: «Den eigentlichen Zweck des Judenthums kann ich daher nur darin finden, daß es ein Mittel seyn sollte, die Menschen, für die es bestimmt war, ihren Geistesgaben gemäß, für die Glückseligkeit der Gesellschaft so fühlbar zu machen, als es nur möglich war.» 78
Zeitgeschichtlich übersetzt lautet diese Auskunft, daß es Zweck der jüdischen Religion war und ist, die Juden ihrem intellektuellen Stand gemäß gesellschaftsfähig und glücksfähig zu machen. Nur zu deutlich scheint hier Aschers Wunsch auf gesellschaftliche Akkulturationsfähig- keit der Juden in der aufgeklärten Gesellschaft Preußens und Europas durch. Aber auf die Offenbarung der Tora angewendet bedeutet diese Auskunft, daß die Tora des Mose als Offenbarung nur ein zeitgebundenes Mittel auf dem historischen Weg des Juden war. Die Tora ist eine Gesetzessammlung mit lediglich historischem Wert für eine bestimmte Epoche, aber darf und kann auf dem Weg der Juden durch die Zeit bis in die Moderne kein Hindernis sein.
Für Ascher ist die Offenbarung der Tora an Moses ein historischer Akt. Aber dieser Akt ist eine Art pädagogische Maßnahme Gottes, die der damaligen Einsichtsfähigkeit der Hebräer angemessen war und nicht ewige Gültigkeit beanspruchen darf. Die Offenbarung der Tora ist eine Erziehungsmaßnahme Gottes zum Zweck des Errei- chens der Gesellschaftsfähigkeit der Juden. Moses ist dabei weder Prophet noch Gesetzgeber noch Held, er war angesichts des Panoramas der ganzen jüdischen Geschichte lediglich, so Ascher wörtlich, der «Geschäftsträger» der Zwecke Gottes auf Zeit. 79 In der Gegenwart von 1792 allerdings behindern nach Meinung Aschers Moses’ Gesetze die reelle bürgerliche Verbesserung der Juden. Denn sie entsprechen ihrer intellektuellen, gesellschaftlichen und damit bürgerlichen Entwicklung nicht mehr.