Geschäftsträger: Saul Ascher 71
Sie behindern vielmehr, entgegen Gottes eigentlichem Zweck, die Entwicklung moralischer und gesellschaftlicher Autonomie moderner Juden. Ascher schreibt darum ganz kantianisch, «daß es die Absicht des Höchsten nicht gewesen, den Juden Gesetze zu offenbaren, um ihre Autonomie ewig zu stöhren». 80
Die Tora ist sonach nicht dazu gegeben, die aufgeklärte Autonomie jüdischer Zeitgenossen zu behindern. Und wenn ihre Gesetze dies tun, so macht eben diese Autonomie die Juden frei, jene Gesetze zu reformieren, zumal, so Ascher, «das Gesetz bloß die Religion constituiert, aber nicht ihr Wesen ausmacht». 81 Der autonome Wille bestimmt einen Juden zum Glauben und religiösen Lebenswandel, nicht das heteronome Gesetz, das als einstmaliges Erziehungsmittel nun den Bedingungen der Moderne gemäß reformiert werden kann und sogar muß. Tora und Halacha werden hier schlicht und einfach auf ihre historische Rolle bei der Herausbildung des Judentums reduziert. Ihre Gebote sind für ein modernes Judentum nicht mehr wesentlich, sondern können mittels menschlicher Autonomie und im Namen von Emanzipation und Aufklärung nötigenfalls reformiert oder abgeschafft werden.
Was Ascher im reformierten Judentum für wesentlich hält, faßt er am Ende des Leviathan in 14 Glaubenssätze nach Art eines protestantischen Katechismus zusammen, die das Judentum insofern konfessionalisieren, als sie reine Privatsache sind und als Glaubenssätze ohne die vielen Vorschriften der Halacha die öffentliche bürgerliche und ökonomische Lebens- und Alltagssphäre eines aufgeklärten Juden gar nicht mehr behindern oder nur berühren. Der Maskil im Sinne Aschers hält an einem privaten, konfessionalisierten Judentum als Glaubensreligion ohne allzu störende religiöse, moralische und juristische Gebote der Halacha fest, während er in der aufgeklärten bürgerlichen Öffentlichkeit als autonomes moralisches und ökonomisches Subjekt sowie als gleichberechtigter Staatsbürger agieren kann. Moses und die Gabe der Tora kommen