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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
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71
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Geschäftsträger: Saul Ascher 71

Sie behindern vielmehr, entgegen Gottes eigentlichem Zweck, die Entwicklung moralischer und gesellschaftli­cher Autonomie moderner Juden. Ascher schreibt darum ganz kantianisch, «daß es die Absicht des Höchsten nicht gewesen, den Juden Gesetze zu offenbaren, um ihre Auto­nomie ewig zu stöhren». 80

Die Tora ist sonach nicht dazu gegeben, die aufgeklärte Autonomie jüdischer Zeitgenossen zu behindern. Und wenn ihre Gesetze dies tun, so macht eben diese Autono­mie die Juden frei, jene Gesetze zu reformieren, zumal, so Ascher, «das Gesetz bloß die Religion constituiert, aber nicht ihr Wesen ausmacht». 81 Der autonome Wille be­stimmt einen Juden zum Glauben und religiösen Lebens­wandel, nicht das heteronome Gesetz, das als einstmaliges Erziehungsmittel nun den Bedingungen der Moderne ge­mäß reformiert werden kann und sogar muß. Tora und Halacha werden hier schlicht und einfach auf ihre histori­sche Rolle bei der Herausbildung des Judentums redu­ziert. Ihre Gebote sind für ein modernes Judentum nicht mehr wesentlich, sondern können mittels menschlicher Autonomie und im Namen von Emanzipation und Auf­klärung nötigenfalls reformiert oder abgeschafft werden.

Was Ascher im reformierten Judentum für wesentlich hält, faßt er am Ende des Leviathan in 14 Glaubenssätze nach Art eines protestantischen Katechismus zusammen, die das Judentum insofern konfessionalisieren, als sie reine Privatsache sind und als Glaubenssätze ohne die vielen Vorschriften der Halacha die öffentliche bürgerliche und ökonomische Lebens- und Alltagssphäre eines aufge­klärten Juden gar nicht mehr behindern oder nur berüh­ren. Der Maskil im Sinne Aschers hält an einem privaten, konfessionalisierten Judentum als Glaubensreligion ohne allzu störende religiöse, moralische und juristische Gebote der Halacha fest, während er in der aufgeklärten bürger­lichen Öffentlichkeit als autonomes moralisches und öko­nomisches Subjekt sowie als gleichberechtigter Staatsbür­ger agieren kann. Moses und die Gabe der Tora kommen