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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
73
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Lehrer der natürlichen Religion: Lazarus Bendavid 73

nem 1793 erschienenen Büchlein Etwas zur Charackteri- stick der Juden den Leviathan von Ascher als «Stock­fisch» kritisiert und Aschers Angriffe gegen Mendelssohn verurteilt, 83 ganz mit Ascher überein. Er analysiert das traditionelle Talmud-Lernen als eine Folge, aber auch als ein akutes Symptom des aktuell miserablen intellektuellen und ökonomischen Zustands der Judenheit. Der Talmud und das rabbinische Judentum sind eine negative Konse­quenz des Lebens von Juden als rechtlose und verfolgte Minderheit in der Diaspora; die Rabbiner bildeten unter diesen widrigen Bedingungen die einzig mögliche Elite un­ter den Juden. Dafür fordert Bendavid Verständnis, aber Juden, die sich so an die rabbinische Tradition klammern, gelten Bendavid als weder aufklärungsfähig noch als ver­besserungswürdig. In seiner Charackteristick schreibt Ben­david die ganze Gruppe oder «Klasse» der Traditionali­sten praktisch für die Aufklärung und bürgerliche Verbes­serung ab: «Die erste Klasse, die den ganzen Ungeheuern Wust von Traditionen auf Treu und Glauben annimmt, die es für Sünde halten möchte, wenn sie zweifeln wollte, daß der Abstand von der Sohle bis zum Knöchel am Fusse des Königs Ogs zu Basan weniger als dreyßig volle Ellen gehalten, oder daß Moses die Weise zu einigen am Ver­söhnungsfeste gesungenen Liedern nicht von Gott selber auf dem Berge Sinai empfangen hätte; - diese macht bey weitem noch die größere Klasse aus. Sie wird immer und ewig unverbesserlich bleiben, und ihr Aussterben ist die einzige Hoffnung für die Nachkommenschaft.» 84

Das buchstäbliche Festhalten an oder gar das abergläu­bische Überzeugtsein von der Offenbarung an Mose auf dem Sinai wird hier als unverbesserliche Rückständigkeit der Traditionalisten ironisiert. Andere jüdische Gruppen dagegen geben, so die Beobachtung Bendavids, die jüdi­sche Religion ganz auf, werden hedonistische Atheisten oder konvertieren zum Christentum. Das will er auch nicht. Bendavid will eine Veränderung der jüdischen Reli­gion und ruft die Veränderungswilligen auf, die sinnlos