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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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Das Verhältnis der Maskilim zum Talmud

bei und der hebräischen Sprache: «Die große Verschieden­heit im menschlichen Geist ist schon allein ein einleuch­tender Beweiß, daß wir nicht alle zum Studio des Talmud bestimmt sind, jede Seele hat ihre eigenthümlichen Kräfte, durch welche sie sich ihrer Vollkommenheit nähert; aber auch unsere Lehrer sagen es: Aus hundert Knaben, die in die Schule gehen, werden zwey Talmudisten, fünf Schrift­gelehrte u.s.w.» 107

Hieraus spricht die Anerkennung der Schwierigkeiten und Anforderungen des Talmud-Studiums, kein Haß. Wes­sely kritisiert den traditionell üblichen Talmud-Unterricht der Jeschivot auf Kosten der Bibel ebenso wie der sonstigen Allgemeinbildung, die den Juden zum nützlichen Bürger machen kann und soll. Eine negative Äußerung über den Talmud selbst und seine Lehren, gar über seine normative Gültigkeit, findet sich in Wesselys Büchlein nicht. Wessely blieb ein moderater, halachisch observanter Maskil, auch in den Verteidigungs- und Erklärungsversuchen, die er wei­teren Auflagen seines Buchs in den Jahren nach 1782 bei­fügte. Seine rabbinischen Feinde attackierten Wessely nicht ohne Grund, aber mit falschen Behauptungen.

2. Vom Nutzen der Geschichte: Isaak Euchel

Die ganze Generation der Meassfim, also der Autoren und Leser der Zeitschrift HaMeassef («Der Sammler»), hatte Simon Bernfeld geschrieben, haßte Talmud und Aggada. 108 Diese Behauptung läßt sich an einem programmatischen Text prüfen, den Isaak Euchel, der Gründer, Herausgeber, Vordenker und sozusagen Chefredakteur von HaMeassef in das erste Heft dieser mit Abstand wichtigsten jüdischen Aufklärungszeitschrift einrückte. 109 Der Beitrag trägt den Titel Ein Wort an den Leser über den Nutzen der Beschäf­tigung mit den vergangenen Zeiten . 110 Er ist, um mit Nietzsche zu sprechen, ein Haskala-Programmtext über den Nutzen der Historie für das Leben, allerdings für Ju-