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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
91
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Vom Nutzen der Geschichte: Isaak Euchel 91

Rabbinen in Geschichte und Gegenwart ebenso wie für den Talmud ist hier eine Relativierung des Talmud als hei­liger Schrift am Werk, die seine Normativität aushöhlt und die Autorität der Rabbiner erschüttert, die ihn mit hi­storischer Aufklärung besser verstehen als ohne diese. Eu­chel ist einer der führenden Meassfim, aber er haßt den Talmud nicht, er historisiert ihn. Das tut er nicht aus Un­kenntnis, denn daß Euchel ein beinahe so guter Talmudist war wie der etliche Jahre ältere Wessely, bezeugt David Friedländer in seinen Erinnerungen Moses Mendelssohn. Fragmente von ihm und über ihn (1818). 112 Euchel histo­risiert den Talmud nicht aus Unkenntnis, sondern in Kenntnis des Materials. Er brüskiert die Traditionalisten jedoch nicht, sondern er versucht zumindest einige von ihnen durch Achtungsbekundungen für die Tradition zu gewinnen. Erst spätere Jahrgänge der Zeitschrift HaMeas- sef schlagen, als die Hoffnung auf Verbreitung und Leser­schaft in Osteuropa enttäuscht wird, einen schärferen Ton gegen die Rabbiner an.

In dem Maße, wie es nicht gelingt, die Haskala unter den Traditionalisten zu verbreiten und zu popularisieren, gewinnen in dieser Zeitschrift die offene Polemik und die Satire gegen die Rabbiner, ihre Gebräuche und ihre Igno­ranz die Oberhand. Die Satire als literarisches Genre in der hebräischen und in der jiddischen Sprache entsteht als ein Medium der Rabbinerkritik. 113 Euchel selbst legte mit der nach 1793 entstandenen und vermutlich 1797 erst­mals publizierten Komödie Reb Henoch oder was thut me dermit die erste moderne jiddische Komödie vor. Sie ver­spottet Ignoranz und Bigotterie eines Rabbiners. 114 Mit dem satirischen hebräischen Dialog Sicha BaArez Ha- Chajim («Gespräch im Lande der Lebenden») legte Aron Halle-Wolfssohn (1754-1835), der Nachfolger von Eu­chel als Herausgeber des Meassef, in dieser Zeitschrift eine nach dem Genre des Totengesprächs modellierte Sa­tire vor: 115 In einem Gespräch treffen sich Maimonides, Mendelssohn und ein ignoranter traditionalistischer Rav