Jüdischer Hausvater und jüdischer Voltaire 95
könnten, völlig abzuschneiden. Sie haben uns in einen solchen Schwall von nonsensicalischen Gesetzen, Gebräuchen, Ceremonien und Meinungen verflochten, die uns zu jeden Pflichten eines Staats- und Weltbürgers völlig unfähig machen; und daher wiederum die Geringschätzung,
Haß und Verachtung aller anderen Nationen gegen 122
uns.» z
Im Überschwang dieser antirabbinischen Tiraden macht Hirschei, ein typischer Fall von Projektion, die Rabbiner sogar für die antijüdischen Unterdrückungsmaßnahmen und die Diskriminierungen seitens der christlichen Nationen verantwortlich; mit denselben Rechtfertigungs-Argumenten, wie sie bei zeitgenössischen Judenfeinden auftauchen, die die Juden und deren eigene rabbinische Gesetzgebung in der Diaspora als Ursache der Entrechtung und Diskriminierung aufführen: «Daher die Beraubung aller bürgerlichen Rechte und Freiheiten, und in unaufgeklärten Staaten die an uns ausgeübte [!] Grausamkeiten und die gänzliche Entziehung der Rechte der Menschheit .» 123
In diesem Punkt wie in der Schärfe der stellenweise haßerfüllten antirabbinischen Attacken steht der Breslauer Maskil Hirschei nicht hinter den antijüdischen Tiraden Voltaires 124 und anderer christlicher Zeitgenossen zurück. Mit einem Motto Voltaires eröffnet Hirschei sein Buch, als Rabbiner-Feind und jüdischer Voltaire führt er sich in seiner Rhetorik auf. Tatsächlich ist sein Büchlein die wildeste und unreflektierteste Suada gegen die Rabbiner aus einer jüdischen Feder, die wüsteste und beleidigendste Kampfschrift der Haskala wider die rabbinische Autorität. Erst Jahre später hat Hirschei, enttäuscht von den Mißerfolgen bei der bürgerlichen Verbesserung der Juden, verärgert über die antijüdische Hetze Carl Wilhelm Grat- tenauers 125 und nunmehr überzeugt von der Verantwortung der Christen für die Diskriminierung der Juden, seine wüstesten Anwürfe gegen die Rabbiner zurückgenommen und bedauert . 126