96 Das Verhältnis der Maskilim zum Talmud
Ganz anders reagiert David Friedländer in seiner abgeklärten Ironie gegenüber Landau und Flekels, deren Bedeutung in traditionalistischen Kreisen daran abzulesen ist, daß sie in Prag nacheinander einer der ältesten, größten und angesehensten jüdischen Gemeinden in Europa vorstanden: Friedländer führt einfach die pompöse Rhetorik der beiden Rabbiner vor und vertraut darauf, daß der aufgeklärte Leser von allein deren Blumigkeit und Lächerlichkeit bemerkt, ebenso die Inkonsequenz und Willkür- lichkeit beim Zitieren beliebig hingeworfener Bibel- und Talmud-Zitate, das Eigenlob und das autoritäre Gebaren im Sprachgestus der beiden Gegner.
Lediglich in einer Schlußanmerkung, nachdem er eingangs die beiden Rabbiner und ihre Amts-Autorität ironisiert und pathologisiert hatte, nimmt Friedländer einmal nicht ad hominetn, sondern auch zur Quelle Stellung, auf welche die Rabbiner ihre Ansprüche stützen: zum Talmud. Unter Nennung zweier Talmud-Stellen (auf daß nur niemand denke, Friedländer kenne den Talmud nicht!) schreibt er, daß der Talmud ausdrücklich Übersetzungen erlaubt, sogar die des Schnta Jisrael, also des jüdischen Glaubensbekenntnisses «Höre Israel ». 127 Desgleichen Mai- monides. Und gegen die von Flekels zur Behauptung des Gegenteils angeführten Stellen aus Talmud und aus dem kabbalistischen Buch Sohar führt Friedländer aus, daß sie dunkel und nicht wörtlich zu verstehen seien, ohne den großen Rabbinern der Antike in der Gegenwart Unrecht zu tun: «Ein jeder sieht offenbar, daß auf diesen Stellen ein geheimnisvolles Dunkel liegt, das für uns undurchdringlich ist. Nach dem gemeinen Wortverstand kann man diese Stellen nicht annehmen, ohne den ehrwürdigen Schriftstellern, die sie verfaßt, unrecht zu thun; und wir müssen uns also gänzlich enthalten im praktischen Leben Gebrauch davon zu machen .» 128
Die Feststellung der aktuellen Unbrauchbarkeit und Irrelevanz des Talmud hat einen historisierenden und profanierenden Kern: Die Rabbinen vergangener Zeiten waren