Talmudistische Fesseln: Saul Ascher
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5. Talmudistische Fesseln: Saul Ascher
Saul Ascher ist ein Berliner Bürgerssohn und jüdischer Jakobiner, kein anderer der Maskilim war weiter von der ärmlichen, osteuropäischen Rabbiner-Herkunft eines Salo- mon Maimon entfernt. Und wohl keiner verstand weniger vom Talmud. Dennoch kannten und schätzten sich Maimon und Ascher, sie teilten ihre Vorliebe für die Philosophie Kants, dessen Bücher sich der arme Maimon bei dem jüngeren, aber besser situierten Ascher ausgeliehen haben soll.
Für Saul Ascher steht die gesamte mündliche Tradition des Judentums, die dann im Talmud verschriftlicht wurde, für jüdischen «Sectionsgeist» und «scholastischen Dispu- tirgeist», 139 also Dinge, die dem Universalismus der Aufklärung diametral entgegengesetzt sind. Zu mündlicher Überlieferung herausgebildet, so schreibt Ascher in seinem Frühwerk Leviathan 179 z durchaus historisch kundig, haben sich die talmudistischen Lehren schon in vorchristlichen Zeiten. Die strengen talmudistischen Lehren waren gerichtet gegen den Hellenismus, die Übersetzung der Bibel ins Griechische in der Septuaginta. «Talmudistische Fesseln» legten sich die Rabbinen jedoch auch im Kampf gegen die Sadduzäer an. 140 Kurz, der Talmud ist ein historisches Produkt der antiken jüdischen Religionsgeschichte, er entstand in Auseinandersetzungen des rabbinischen Judentums mit seinen historischen Gegnern im Judentum und außerhalb desselben.
Ein wichtiges Datum war dabei die Trennung der Ka- räer, die nur die Bibel, nicht aber den Talmud als autoritative Schrift anerkennen, von den Rabbinen, die Bibel und Talmud als autoritative Quelle aller Gebote betrachten. Neben den Sadduzäern sind es bei Ascher die Karäer, die durch ihre schiere Existenz beweisen, daß die Rabbiner kein Monopol auf Judentum besitzen und daß es von al- tersher Alternativen zum streng gesetzlichen Judentum