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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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107
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Eine Genealogie der jüdischen Moral 107

rung der Juden im Wege steht, verändert werden, da sich das Judentum sonst durch Apostasie bald ganz auflösen werde. Ascher fordert darum eine «Reformation» des Ju­dentums, die Autorität der Talmudisten darf unterdrückt werden. Die historisch überholten Bestimmungen der Ha- lacha sollen geändert, reduziert und modernisiert werden. Der Talmud ist eine historische Autorität, aber reformbe­dürftig. Solche Talmudisten, die an ihren alten «Mythen» festhalten wollen, geben sich der Lächerlichkeit preis, sie sind der modernen Entwicklung nicht gewachsen. Darum darf ihre Autorität durch Kritik angegriffen und dürfen ihre Handlungen bekämpft werden.

6. Eine Genealogie der jüdischen Moral:

Lazarus Bendavid

Lazarus Bendavids Büchlein Etwas zur Charackteristick der Juden von 1793 ist eine jüdische Genealogie der Mo­ral und eine Genealogie der jüdischen Moral. Es ist nicht bekannt, ob Nietzsche dieses in Wien geschriebene Büch­lein gelesen hat, wo Bendavid zur Zeit seiner Abfassung in privaten Vorlesungen die kritische Philosophie Imma­nuel Kants bekannt machen wollte und sozusagen als Pro­phet Kants in Wien auftrat. 144 Und es ist nicht bekannt, ob Nietzsche sein Klischee von der jüdischen «Sklaven­moral», welche er von einer heidnisch-antiken, aristokra­tischen «Herrenmoral» abhebt, nicht beim jüdischen Autor Lazarus Bendavid entlehnt hat. Jedenfalls ist es der in Berlin geborene und aufgewachsene jüdische Kantianer und Maskil Bendavid, 145 der die Charakterisierung der Ju­den nach der Zerstörung des Zweiten Tempels und nach Verlust von Staat und Territorium als «Sklaven» vor­nimmt. Mehr noch, er schreibt den Juden die Mentalität von Sklaven als ihren Hauptfehler zu, der noch bis in die Gegenwart fortwirkt und ihr Verhältnis zu den Christen, zum Staat und zur Aufklärung beeinträchtigt: