io8
Das Verhältnis der Maskilim zum Talmud
«Der erste Hauptfehler der Juden ist der des Sklaven überhaupt. Beneidung seines Gebiethers, Verachtung seiner Mitsklaven. ... Nicht Gesetze seiner Religion, nicht Meynungen seiner Thalmudisten lehrten den Juden den Nichtjuden haßen und beeinträchtigen. Der Tyrann zwang den Sklaven dazu; und der Jude that hier nichts anders, als was jeder Mensch thut, der aus Furcht vor Strafe Gut- müthigkeit heuchelt.» 146
Deutlich dient diese psychologisierende Erklärung des Ressentiments der Entschuldigung der Juden. Nicht ihre Religion oder die Talmudisten sind für das Ressentiment verantwortlich, sondern ihre Unterdrückung. Die Fehler der Juden, nach denen Bendavids Büchlein suchen will, um den zeitgenössischen Juden zu ihrer eigenen Aufklärung zu verhelfen und um sie zu bewegen, «an ihrer eigenen Besserung zu arbeiten», 147 sind das Resultat der jüdischen Geschichte von Sklaverei, Verfolgung und Diskriminierung. Dieser Gedanke Bendavids ist nicht neu. Nach diesem Schema hatte schon Christian Wilhelm Dohms Kampfschrift Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781) argumentiert: Die Geschichte der Juden in der Diaspora ist eine Geschichte der Unterdrückung, die den miserablen Zustand der jüdischen Nation in der Gegenwart erklärt. Erstmals hatte der aufgeklärte, protestantisch-preußische Reformbeamte Dohm eine nicht-theologische Betrachtungsweise der jüdischen Geschichte gewählt. Danach ist die Misere der Juden nicht, wie die christlichen Theologen stets behaupteten, eine Strafe Gottes für die Ermordung Jesu am Kreuz durch die Juden. Vielmehr hat sie profane historische Ursachen in der jahrhundertelangen Benachteiligung der Juden, die es nun durch Aufklärung und bürgerliche Verbesserung der Juden in allen Bereichen von Staat, Gesellschaft, Ökonomie, Beruf und Bildung zu beseitigen gilt.
Über diese historische Analyse Dohms geht indessen Bendavids Fehlersuche weit hinaus. Kritisch sucht er die Fehler der Juden auch bei ihnen selbst. Das ist kein Fall