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Das Verhältnis der Maskilim zum Talmud
von «jüdischem Selbsthaß», wie Theodor Lessing die gänzliche Ablehnung alles Jüdischen durch Juden selbst genannt hat . 148 Aber es ist eine schonungslose jüdische Selbstkritik durch einen Maskil, der wie Maimon sehr gezielt die Grenzen und die Solidarität des jüdischen Binnendiskurses durchbricht und in deutscher Sprache vor deutschsprachiger, zumeist christlicher Leserschaft bestimmte jüdische Gruppen und ihr Verhalten anprangert. Das Motto: «Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen / Für den erträglichsten zu halten», aus Lessings Nathan der Weise schickt er als Motto seinem Büchlein voran.
Der Maskil Bendavid sieht es als Aufgabe jüdischer Selbstaufklärung an, die eigenen Fehler öffentlich, d. h. auch vor christlichem Publikum, zu analysieren und zu thematisieren. Im Dienste dieser Analyse steht seine psy- chologisierende Genealogie der jüdischen Moral. Folgende Hauptfragen will Bendavid durch sein Buch beantworten: «i. Welches sind die wesentlichen Fehler der jüdischen Nation? und 2: Woher entstanden und beharren sie vorzüglich bey diesem Volke? Ein weites Feld !» 149 Neben der Sklavenmoral von Neid auf die Herren und Verachtung der Mitsklaven sieht Bendavid vor allem eine weitere, entscheidende Deformation in der jüdischen Geschichte. Sie besteht in der religiösen Überkompensation des Verlustes von Tempel und Land. Das Exil sei als Folge der Sündhaftigkeit des Volkes Israel interpretiert worden, welches sich darum durch Frömmigkeit und religiösen Eifer wieder mit seinem Gott versöhnen wolle. Diese unhistorische, theologische Interpretation des Exils als Folge von Sünde sei die Geburtsstunde und Herrschaftsbedingung des rabbinischen Judentums:
«Sündenhalber, lehrte sie nehmlich der Pentateuch, sollten sie der Herrschaft über ihr Land verlustig werden; Besserung der Sitten sie zu derselben wieder gelangen laßen. ... Sie suchten durch Befolgung der Gesetze ihrer Väter den Ewigen auszusöhnen, suchten in seiner Allmacht den Gott der Schaaren zu finden, der die Feinde