114 Das Verhältnis der Maskilim zum Talmud
bei weitem größten Teil der Judenheit ausmacht, die Has- kala große Schwierigkeiten bei ihrer Ausbreitung zu gewärtigen hat. Aber seine Hoffnung gilt den jungen, veränderungswilligen Juden in Preußen und Österreich und der Ausbreitung der Haskala unter ihnen. Im Sinne dieser Haltung wird Bendavid 1806 Direktor der Jüdischen Freyschule in Berlin, 156 1822. außerordentliches Mitglied des Vereins für Wissenschaft und Cultur der Juden 157 und damit einer der Mitbegründer der Wissenschaft des Judentums.
7. Wissenschaft des Judentums: Leopold Zunz
Vollständig historisiert wird der Talmud erst durch die Wissenschaft des Judentums. Die Vollständigkeit der Hi- storisierung läßt sich daran ermessen, daß es nicht mehr nötig ist, gegen den Talmud, die Talmudisten oder den Talmud-Unterricht zu polemisieren, um die normative Geltung des Talmud zu erschüttern, das Ansehen der Talmudisten zu schmälern, die Ausschließlichkeit des religiösen Unterrichts aufzubrechen oder um für eine breiteste Allgemeinbildung jüdischer Kinder zu sorgen. Das hat die Haskala so erfolgreich besorgt, daß die Wissenschaft des Judentums nur rund 20 Jahre später ihre Erforschung der rabbinischen Literatur frei von Polemik und rein nach historisch-kritischen Maßstäben betreiben kann. Und das von Anfang an.
Im Jahr 1818, also 25 Jahre nach Erscheinen von Ben- davids Etwas zur Charackteristick der Juden, aber noch ein Jahr vor Gründung des nachmals berühmten Vereins für Wissenschaft und Cultur der Juden, legte Leopold Zunz seine Erstlingsschrift Etwas über die rabbinische Literatur vor. Die Schrift legt so etwas wie eine Programmatik und einen Arbeitsplan für die noch gar nicht bestehende Wissenschaft des Judentums vor. Dieser Abriß einer zukünftigen Wissenschaft ist so umfassend ausgelegt,