Aufklärung und immanente Kritik
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später lebende Autor des Sohar hatte sich zwecks Täuschung der Leser das ehrenwerte Pseudonym «RaSchBI» nur angemaßt.
Emden führt etwa 300 solcher Indizien gegen die frühe Entstehung des Sohar an, und er nennt sogar den Namen seines tatsächlichen mittelalterlichen Autors Mosche de Leon, eines berühmten kastilischen Kabbalisten des 13. Jahrhunderts, unter denen der möglichen Autoren - eine Ansicht, die erst im 20. Jahrhundert zur herrschenden Meinung der Kabbala-Forschung wurde. Das ist eine auf herausragender Kenntnis der talmudischen, midraschi- schen, kabbalistischen und sabbatianischen Literatur fußende, philologische Meisterleistung von immanenter Kritik, an welche die moderne So^ar-Forschung ebenso wie schon die Maskilim direkt anknüpfen konnte. 192
Doch Jacob Emden verwirft trotz seiner Erkenntnis der Pseudepigraphie in zumindest Teilen des Sohar nicht das ganze Buch in Bausch und Bogen als «Fälschung» (Graetz). Vielmehr gesteht er dem Leser, daß seine Zweifel mehr als 40 Jahre in ihm bohrten und äußere Umstände wie das Wiederaufflammen des Sabbatianismus und des Frankismus in Polen ihn dazu bewegten, die Kritik an Alter und damit Autorität des Sohar publik zu machen. 193 Diese Kritik, das ist offensichtlich, schmerzt Emden selber. Sie ist nicht von außen an das Hauptbuch der Kabbala herangetragen, etwa durch Berufung auf neue naturwissenschaftliche oder historische Erkenntnisse, sie fordert auch keinen Kehraus mit der Kabbala insgesamt. Vielmehr übt Emden immanente Kritik, d.h. er mißt den Sohar an den eigenen Ansprüchen und Aussprüchen und zeigt dabei seine Selbstwidersprüche auf. Gerade deshalb wirkt diese Kritik bei den religiösen Lesern, die dieselben Prämissen wie Emden teilen, um so nachhaltiger. Wenn man so will, ist Emden Aufklärung durch immanente Kritik.