130 Haskala und Kabbala
2. Moses Mendelssohn oder die stille Neutralisierung der Kabbala
Moses Mendelssohn bietet nicht immanente, sondern, wie Alexander Altmann ein Buch betitelte, «trostvolle Aufklärung». 194 Er stand in Briefkontakt mit dem älteren, von ihm geschätzten Jacob Emden, er kannte auch Mitpachat Sefarim, dessen Kritik am Sohar er in Or LaNetiva (1782/ 83), der wichtigen hebräischen Einleitung zu seiner Pentateuch-Übersetzung, zustimmend referiert. 195 Wie könne man dem Sohar als Kommentar zum Pentateuch trauen, wo doch erwiesen ist, daß er Grammatiker zitiert, die erst nach den Gaonim spät im Mittelalter auftraten? Der Sohar ist, unter Verweis auf Emden, als Quelle diskreditiert. Aber die Kritik hat ein anderer geübt, nicht Mendelssohn selbst, der den Sohar lediglich als einen unter vielen anderen Kommentaren zum Pentateuch aufzählt. Mendelssohn überläßt es dem Leser, seine Schlüsse zu ziehen.
Mendelssohn teilt, wie ein Brief vom 27. Tischri 5527 (d. h. 1766, vor Veröffentlichung von Mitpachat Sefarim) an Emden erklärt, dessen Abneigung gegen Sabbatianer und Frankisten, aber niemals läßt er sich wie Emden zu wüster Polemik gegen sie oder gar gegen die Kabbala hinreißen. Polemik ist Mendelssohns Sache nicht. Er war zeitlebens ein vorsichtiger, abwägender Publizist. Sein Umgang mit der Kabbala ist auch deswegen ein anderer: Er zitiert kabbalistische Schriften, wo es ihm ins Konzept paßt, durchaus auch affirmativ als einen Bestandteil der traditionellen Kommentarliteratur, die er auch sonst benutzt. So zitiert der Bi’ur, der hebräische Kommentar zur deutschen Tora-Übersetzung, kabbalistische Texte, sogar zu wichtigen Tora-Stellen: Josef Gikatillas Ginat Egos, das Sefer Jezira oder das Sefer HaBahir . 196 Aber in der Menge der ansonsten zitierten Traditionsliteratur gehen diese Zitate einfach unter und werden, aufs Ganze gesehen, bedeutungslos. Kabbala wird also nicht attackiert,