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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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142. Die Entdeckung des Chassidismus

tellektuellen Entwicklung und Emanzipation schildert, hält der zweite Band nur zu deutlich die gesellschaftlichen und finanziellen Schwierigkeiten des unangepaßten, ar- 1 beitsunwilligen und religiös unorthodoxen Maimon im aufgeklärten Berlin fest. Er findet Anerkennung als Philo­soph, wird jedoch sozial, besonders innerhalb der jüdi­schen Minorität, die ihn jahrelang förderte und schützte, immer einsamer. In dieser Hinsicht ist seine Lebensge­schichte nicht nur eine Erfolgsgeschichte.

Dennoch hatte Moritz vollkommen recht, die Erstma­ligkeit und Einmaligkeit von Maimons Schilderung des osteuropäischen Judentums im ersten Band der Lebensge­schichte hervorzuheben, die unter Juden und vor allem unter Nichtjuden Deutschlands das Bild des Stetl für Jahr­zehnte prägen sollte. Wird doch Salomon Maimons Le­bensgeschichte von Moritz als «eine unparteiische und vorurteilsfreie Darstellung des Judentums, von der man wohl mit Grunde behaupten kann, daß sie die erste in ihrer Art ist» präsentiert . 217 Unparteiisch und vorurteils­frei, so die Behauptung Moritz, wird hier das Judentum Osteuropas dargestellt, ein authentisches Judentum im vor-aufgeklärten Naturzustand sozusagen, wie es den auf­geklärten deutschen Lesern nie zuvor geschildert worden war, ein fremdes Volk unter erbärmlichsten Umständen in j einem fremden Land, in Armut, Aberglaube und Unwis­senheit. Maimon schildert die Alltagswirklichkeit von Ju­den in Osteuropa: den Hunger, die Verrohung und den Alkoholismus der jüdischen Pächter und Kleinhändler, die Unbildung des Adels und der christlichen Landbevölke­rung, die absolute Rechtlosigkeit der Juden, die es polni­schen Adligen erlaubte, einen Juden auf offener Straße aus einer Laune heraus und straflos über den Haufen zu schießen, aber auch Tora-Frömmigkeit bis zum Fanatis­mus, jüdischen Aberglauben und Volksreligiosität, Früh­verheiratung und chassidische Freudentänze.

Sicherlich bot dies ein sinnenfälliges Kontrastbild zu den ja auch im zweiten Band der Lebensgeschichte vor-