Druckschrift 
Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
143
Einzelbild herunterladen

Eine doppeldeutige Widmung 143

kommenden jüdischen Salons Berlins, in denen seinerzeit tout Berlin, die Adligen und Bürger, Intelligenz und Fi­nanzwelt, Künstler und Militärs, kurz: das jüdische und das nichtjüdische Lesepublikum Maimons verkehrten . 218 Salomon Maimon ist aus jener fremden, exotischen Welt in die der Berliner Aufklärung gewechselt. Er mußte die ostjüdische Welt Polens verlassen, um Wissenschaft und Bildung, wie Moritz schreibt, «unter einem fremden Him­melsstrich» zu suchen . 219

Wenn indessen jene Schilderung der fremden, so exoti­schen jüdischen Welt Osteuropas nach den Worten Mo­ritz «eine unparteiische und vorurteilsfreie Darstellung des Judentums» ist, wie steht es dann um das Judentum der aufgeklärten Berliner Juden, die sich doch so weit von jenem Judentum Osteuropas entfernt haben? Wenn jenes osteuropäische Judentum das Judentum repräsentiert, was für eine Fagon von Judentum ist dann die Berliner jüdische Aufklärung, die, Moritz sagt es ja, «ein Gegenstand des Nachdenkens geworden ist»? Ohne es zu wollen, ist hier Moritz Preislied auf die schwierige Lebensgeschichte des Freundes, die er aus eigener bitterer Erfahrung so gut nachempfinden kann, seine Begeisterung für dessen Schil­derung jenes exotisch anmutenden Ostjudentums, durch­aus zweischneidig. Wohlgemerkt: Moritz formuliert sicher nicht ohne die volle Zustimmung Maimons und der aufge­klärten Berliner Juden. Salomon Maimons Lebensge­schichte ist in dieser Hinsicht schon Ausdruck eines neuen, aufgeklärten und verbürgerlichten jüdischen Selbstver­ständnisses, das um seine Distanz zum Stetl weiß. Dieses Selbstverständnis wird von Moritz nun aufgenommen, be­kräftigt und an ein mehrheitlich nichtjüdisches Lesepubli­kum weitervermittelt.

Damit wird jedoch für den deutschsprachigen Kultur­raum eine sozio-kulturelle Stereotype geprägt, die bis heute, nach der Vernichtung des osteuropäischen Juden­tums in der Shoah, kaum gebrochen ist und die verschie­denen Nostalgie-geladenen Renaissancen des Ostjüdischen