144 Die Entdeckung des Chassidismus
bei Buber und Chagall, bei Scholem Alejchem und Isaak Bashevis Singer durchherrschte: Aufklärung und Emanzipation der Juden im Westen, vor allem in Deutschland, und das ostjüdische Stetl seien verschiedene, im Kern unvereinbare Welten . 220 Inner jüdisch grenzen sich die Aufgeklärten wie Maimon vom Ostjudentum der Vorfahren ab, in ihrer nichtjüdischen Umwelt haftet jedoch noch den aufgeklärtesten Juden das Klischee vom vermeintlich «authentischerem osteuropäischen Kaftanjuden als Her- kunfts- und Urbild weiterhin an.
Die Kabbala und der Chassidismus in Salomon Mai- mons Lebensgeschichte gehörten für Maimon und die meisten seiner Leser ohne Zweifel in jene Fremde, in die exotische ostjüdische Welt, nicht in den aufgeklärten Westen. Die Kabbala, die jüdische Mystik in ihrer Theorie und Praxis, ist ihrem eigenen Selbstverständnis nach esoterisch, in den Augen des Berliner Publikums aber wirkt sie, vor allem der von Maimon breit geschilderte Chassidismus, fremd. Sie ist exotisch, für Christen allemal, aber auch für die aufgeklärten Berliner Juden, die allenfalls sehr begrenzte Kenntnisse der traditionellen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen kabbalistischen Schriften haben, während der neue, <polnische> Chassidismus in j Deutschland nie starke Wirkungen entfaltete. In Frankfurt am Main, wo der Kabbalist Nathan Adler mit seinen Schülern chassidische Fastenübungen praktizierte, wurde dieser eben deswegen zweimal von der jüdischen Gemeinde gebannt und mußte Frankfurt verlassen . 221 Es gab unter den jüdischen Aufklärern Berlins, etwa im Kreis der Autoren von HaMe’assef, Figuren wie Isaak Satanow, die ausgezeichnete Kenntnisse der Kabbala hatten, es gab auch die Drucklegung kabbalistischer Werke in Berlin. Aber es gab wenig positive Bezugnahmen auf Kabbala, fast keine auf den Chassidismus, und für die Mehrzahl j der aufgeklärten Juden und zumal Jüdinnen in den Salons galt beides, ebenso wie für ihre christlichen Zeitgenossen, als mit Aufklärung unvereinbar.