Maimon als Augenzeuge 145
Solche Stereotypen haben Folgen, auch ungewollte. Der Gegensatz einer Welt von <authentischem> Judentum, Stetl, Talmud, Kabbala, Chassidismus und Aberglaube einerseits und der Welt von Aufklärung und Rationalität im Westen andererseits - dies ist die soziokulturelle Stereotype, welche Salomon Maintons Lebensgeschichte ihren jüdischen und nicht]üdischen Lesern 1792/93 vermittelt. Das ist der Tenor dieser ersten und für Jahrzehnte kenntnisreichsten deutschsprachigen Darstellung des Chassidismus, die in ansprechender literarischer Form dem ganzen Lesepublikum, den Frauen und Dichtern, den Adligen, Militärs und Beamten, Juden und Nichtjuden, und eben nicht nur den Gelehrten vorlag.
Nun konnte die gelehrte ebenso wie die ungelehrte Welt mit Maimon auf eine deutschsprachige und zugleich authentisch) jüdische Quelle zurückgreifen, die etwas schilderte, was die gelehrten lateinischen Darstellungen der Kabbala nie auch nur gestreift hatten: Kabbalistische, chassidische Praxis wie Krankenheilungen, Fastenrituale und Feiertagsbräuche, das Hofhalten eines Rebben und die ekstatischen Feste seiner Anhänger. Auch in diesem Punkt schöpft diese erste und erstklassige Quelle über Kabbala in deutscher Sprache in gleicher Weise ihre Glaubwürdigkeit und ihre exotische Faszination daraus, daß ihr Verfasser Jude ist, der aus jener fremden Welt des osteuropäischen Judentums-stammt und berichtet.
2- Maimon als Augenzeuge
Der um 1750 entstehende Chassidismus ist eine neuzeitliche Spielart der Kabbala, welche Elemente der sog. lu- rianischen Kabbala aus Safed in Galiläa mit osteuropäischen jüdischen Frömmigkeitstraditionen und teilweise auch nicht jüdischem Brauchtum vereinte. Maimon kannte nicht nur den Chassidismus aus der Nähe des zeitgenössischen Beobachters, er war auch mit der ganzen Tradition