146 Die Entdeckung des Chassidismus
der Kabbala durch Lektüre aller wichtigen Texte sehr gut vertraut. Die Entdeckung des Chassidismus wenige Jahre nach seinem Entstehen ist also eingebettet in ausgezeichnete Kenntnisse der kabbalistischen Literatur. Die ersten Texte der Kabbala las Maimon nach eigener Auskunft im Alter von 12 Jahren, und auch den ersten Chassidim begegnete er schon als Kind:
«Ich war in meiner Jugend ziemlich religiös, und da ich an den meisten Rabbinern viel Stolz, Zanksucht und andere schlimme Eigenschaften bemerkt hatte, so wurden diese mir dadurch verhaßt. Ich suchte daher bloß diejenigen darunter, die gemeiniglich unter dem Namen Chassidim, d.h. die Frommen, bekannt sind, mir zum Muster aus; das sind solche, die ihr ganzes Leben der strengsten Beobachtung der Gesetze und moralischen Tugenden widmen. Ich hatte aber in der Folge Gelegenheit zu bemerken, daß diese von ihrer Seite zwar weniger andern, aber desto mehr sich selbst schaden, indem sie, nach dem bekannten Sprichworte, das Kind mit dem Bade ausschütten und, indem sie ihre Begierden und Leidenschaften zu unterdrücken suchen, auch ihre Kräfte unterdrücken und ihre Tätigkeit hemmen, ja sogar sich mehrenteils durch dergleichen Übungen einen frühzeitigen Tod zuziehn .» 222
Diese Passage beschreibt, daß Maimon sich als frommer Knabe mit guter rabbinischer Ausbildung - er war von seinem Vater zum Rabbiner bestimmt - den Chassidim, d.h. wörtlich: den <Frommen>, zuwendet. Sein Urteil über sie beruht sonach auf Erfahrung, es ist nicht die Frucht von Voreingenommenheit oder die Konsequenz abstrakter Überlegungen. So beschreibt er, wie der Chassid Simon aus Lubtsch aufgrund übertriebenen Buß-Fastens und obwohl Maimons Vater ihn etwas aufpäppeln will, ganz in der Nähe von Maimons Heimatdorf mit dem So- har im Gepäck sich zu Tode hungert. Ein anderer Chassid, «Jossel aus Klezk nahm sich nichts Geringeres vor, als die Ankunft des Messias zu beschleunigen. Zu diesem Ende tat er strenge Buße, fastete, wälzte sich im Schnee, unter-