150 Die Entdeckung des Chassidismus
Hochinteressant ist Maimons Beschreibung des Gebetes und synagogalen «Gottesdienstes» jener neuen Chassidim. Besonderes Augenmerk verdient, daß Maimon, entgegen einer These von Gershom Scholem und entsprechend einer Gegenthese von Moshe Idel, im Gottesdienst der Chassidim das Phänomen einer uttio mystica, d. h. der Vereinigung der Seele eines Frommen mit Gott, erkennt. Dieses Phänomen, das die unendliche Differenz zwischen Gott als welttranszendentem Schöpfer und dem Menschen als Geschöpf ekstatisch überwindet, hat Scholem nur für die christliche, nicht jedoch für die jüdische Mystik gelten lassen wollen . 230 Salomon Maimons Aussage spricht hier eindeutig für Idels These , 231 es gebe bei bestimmten Autoren der Kabbala, namentlich im Chassidismus, die Vorstellung der unio mystica:
«Ihr Gottesdienst bestand in einer freiwilligen Entkör- perung, d. h. Abstrahierung ihrer Gedanken von allen Dingen außer Gott, ja sogar von ihrem individuellen Ich, und in Vereinigung mit Gott [unio mystica ]; woraus eine Art von Selbstverleugnung bei ihnen entstand, so daß sie alle in diesem Zustande unternommenen Handlungen nicht sich selbst, sondern Gott zuschreiben.
Ihr Gottesdienst bestand also in einer Art spekulativer Andacht, wozu sie keine besondere Zeit oder Formel für notwendig hielten, sondern einem jeden überließen, ihn nach dem Grade der Erkenntnis zu bestimmen; doch wählten sie dazu hauptsächlich die zum öffentlichen Gottesdienst bestimmten Stunden. In ihren öffentlichen Gottesdiensten beflissen sie sich hauptsächlich der vorerwähnten Entkörperung, d.h. sie vertieften sich so sehr in die Vorstellung der göttlichen Vollkommenheit, daß sie dadurch die Vorstellung aller andern Dinge und sogar ihres eigenen Körpers verloren, so daß der Körper ihrem Vorgeben nach zu dieser Zeit ganz gefühllos sein mußte.
Da es aber mit einer solchen Abstraktion sehr schwer hielt, so bemühten sie sich durch allerhand mechanische Operationen (Bewegungen und Schreien) sich in diesen