154 Die Entdeckung des Chassidismus
gleichzeitig, aber unter ganz verschiedenen Himmelsstrichen. Dennoch gab es Wanderer zwischen diesen Welten. Maimon war unter den Berliner Maskilim einer dieser Wanderer, Salomo Dubno aus Dubno und Isaak Satanow aus Satanow waren zwei weitere.
War der Ausgangspunkt von Chassidismus und Haskala auch der gleiche, die Optionen waren sehr gegenläufig: Für die meisten Maskilim war, in unterschiedlicher Intensität, die Reformierung und Modernisierung, die Konfes- sionalisierung und Verbürgerlichung der jüdischen Religion und Religionspraxis Programm. Der Chassidismus, der das osteuropäische Judentum und seine «Jiddischkeit» jahrzehntelang so prägte wie die Haskala die Verbürgerlichung der Juden in Deutschland, strebte in die Gegenrichtung und setzte eine umfassende, alltägliche Spirituali- sierung und ekstatische Frömmigkeit gegen Erstarrung und Resignation der jüdischen Gemeinden angesichts festgefahrener Rituale und erbärmlicher Lebensumstände. In dieser Situation stehen sich Haskala und Chassidismus in Osteuropa bis weit ins 19. Jahrhundert gegenüber, die Chassidim sind dort jahrzehntelang sogar die Hauptgegner der Maskilim. Der Chassidismus hat die Kritik der Maskilim dort unbeschadet bis ins zo. Jahrhundert überstanden, die Haskala war im Zarenreich nicht erfolgreich, weil das unterentwickelte russische Bürgertum für Juden keine besondere Attraktivität besaß und die Verbürgerlichung der jüdischen Massen angesichts von Hunger und Armut, Unterdrückung und Judenhaß nie gelang. In Mittel- und Westeuropa konnte umgekehrt der Chassidismus nie Fuß fassen, die jüdischen Eliten setzten auf Aufklärung und bürgerliche Verbesserung der Juden. Und selbst die Chassidismus-Wiederentdeckung nach Buber blieb eine rein nostalgische und ästhetische, von chassidischer religiöser Praxis wie Gebetsübungen in irgendeinem signifikanten Ausmaß kann nicht die Rede sein.
Maimon entschied sich in Kenntnis der Alternative für die Haskala. Ohne den Chassidismus zu diffamieren. Ob-