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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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Chassidismus und Haskala

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wohl Maimon seiner Distanz und schließlich Ablehnung des Chassidismus unzweideutig Ausdruck verleiht, zeugen seine Beschreibungen von großer Kenntnis, von Neugier und Einfühlungsvermögen. Anspruch und Ausschweifun­gen der kabbalistischen Praxis werden, oft witzig poin­tiert, einander gegenübergestellt. Bei alledem überläßt Maimon es meist dem Leser, sich sein eigenes Urteil zu bilden. Die Chassidim werden von Maimon selbst nur an wenigen Textstellen ausdrücklich negativ beurteilt. Seine Distanz macht er durch die Ironie mancher Beschreibun­gen und durch die eigenen Handlungs-Konsequenzen deutlich, welche die Lebensgeschichte berichtet: Er verläßt die Chassidim, er verläßt aber auch die Mitnagdim und das Talmud-Studium seiner frühen Jahre in der Welt der Jeschivot, er verläßt vor allem die Armut und die dra­stisch geschilderte Rückständigkeit Polens und geht nach Preußen.

«Mein Leben in Polen seit meiner Verheiratung bis zu meiner Auswanderung, welcher Zeitraum die Blüte mei­nes Alters in sich begreift, war eine Reihe von mannigfal­tigem Elend, Mangel an allen Mitteln zur Beförderung meiner Entwicklung und notwendig damit verknüpftem unzweckmäßigen Gebrauch der Kräfte, bei deren Be­schreibung mir die Feder aus den Händen fällt und deren schmerzhafte Zurückerinnerung ich in mir zu ersticken suche .» 235

Für die deutschen Leser, Juden wie Nichtjuden, mußten Maimons Schilderungen des Chassidismus etwas durch und durch Exotisches haben, selbst dann, wenn diese Le­ser aus Büchern so manches über theoretische Kabbala wußten. Diese extremen Formen eines Chassidismus, der um Wundermänner zentriert war, die wie Könige lebten, hatte es in den jüdischen Gemeinden Deutschlands nie ge­geben. Die Verjbannung des frommen Nathan Adler aus Frankfurt am Main wegen zu weitgehender Fastenübun­gen seiner Anhänger war das Äußerste, was in Deutsch­land passierte. Auch in den jüdischen Salons Berlins muß-