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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
Entstehung
Seite
159
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Kant und die jüdische Aufklärung 159

den, Christen und Andersgläubige das institutioneile mon­archistische Staatskirchentum der Epoche in Frage stellte, wenn nicht bedrohte:

«Herr Friedländer wird Ihnen sagen, mit welcher Be­wunderung der Scharfsinnigkeit, Feinheit und Klugheit ich Ihren Jerusalem gelesen habe. Ich halte dieses Buch vor die Verkündigung einer großen, obzwar langsam be­vorstehenden und fortrückenden Reform, die nicht allein ihre Nation, sondern auch andere treffen wird. Sie haben Ihre Religion mit einem solchen Grade von Gewissens- freyheit zu vereinigen gewußt, die man ihr gar nicht zu getrauet hätte und dergleichen sich keine andere rühmen kan. Sie haben zugleich die Nothwendigkeit einer unbe­schränkten Gewissensfreyheit zu jeder Religion so gründ­lich und so hell vorgetragen, daß auch endlich die Kirche unserer Seits darauf wird denken müssen, wie sie alles, was das Gewissen belästigen und drücken kan, von der ihrigen absondere .» 239

Innerj üdisch hat Mendelssohns Jerusalem den Rabbi­nern das Bannrecht abgesprochen 240 und damit nicht nur das entscheidende Repressionsmittel gegen jüdische Auf­klärer und Freidenker, sondern auch das Definitionsmo­nopol der Rabbiner über Rechtgläubigkeit und Zugehö­rigkeit zum Judentum in Frage gestellt. Jerusalem war so­mit innerjüdisch ebenso wie gegenüber Nichtjuden eine Emanzipationsschrift. Schon die Zeitgenossen erkannten dieses Buch als die wichtigste politische Schrift Mendels­sohns an. Dennoch ist dieses Buch seiner philosophischen Argumentation nach konservativ: In Unkenntnis der Kri­tik der reinen Vernunft hält Mendelssohn an der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele als allgemeinen und beweisbaren «ewigen Wahrheiten» der natürlichen Religion und der Vernunft jedes denkenden Subjekts un­abhängig von seiper Religionszugehörigkeit fest . 241 Ferner lehnt er jede Veränderung der rabbinisch überlieferten re­ligiösen Gebote des Judentums, der sog. Halacha, ab . 242 Mendelssohn bleibt in Theorie und Praxis ein «orthodo-