160 Kant und die jüdische Aufklärung
xer», religionsgesetzlich observanter Jude. Für ihn heißt Emanzipation des Judentums und der Juden nicht die Veränderung, Modernisierung oder gar Befreiung von der einzig den Juden durch Mose aufgegebenen «göttlichen Gesetzgebung» und dem Talmud . 243 Für Mendelssohn sind Aufklärung, bürgerliche Gleichberechtigung der Juden und strikte Observanz gegenüber der Halacha miteinander vereinbar. Kantisch gesagt, bekennt sich Mendelssohn in Jerusalem gerade zur moralischen Heteronomie der religiösen Gebote des Judentums in seiner rabbini- schen Tradition und Auslegung.
ln diesem Punkt ist Mendelssohn repräsentativ für die erste Generation jüdischer Aufklärer in Berlin, für Hartwig Wessely, Isaak Satanow, Marcus Elieser Bloch oder Salomo Dubno. Sie alle fordern Aufklärung und die Beschäftigung mit moderner Bildung, mit Künsten und Wissenschaften für Juden, aber sie stehen noch tief in der rab- binischen Tradition der Halacha, die sie interpretieren, nicht umwerfen oder verändern wollen. Die religiösen Gebote der Halacha sind nach ihrem Verständnis gottgegeben und daher unumstößlich und unveränderlich. Diese im Kern ahistorische Auffassung der religiösen Gebote und der Offenbarung - «die Tora ist vom Himmel» und daher unveränderlich - ebenso wie die Zurücksetzung des Judentums als Vorstufe des Christentums gehen ein in Mendelssohns klare Ablehnung eines moralischen Fortschritts des Menschengeschlechts. Mendelssohn kritisiert in diesem Punkt sogar seinen verstorbenen Freund Lessing und dessen Schrift über die Erziehung des Menschengeschlechts . 244 Hier ist Jerusalem unvereinbar mit Kants Geschichtsphilosophie und ihrem Fortschrittsoptimismus hinsichtlich der moralischen Besserung des Menschengeschlechts. Mendelssohns Position wird von Kant folgerichtig im Streit der Fakultäten als «Abderitismus» gekennzeichnet und kritisiert : 245 Für Mendelssohn ist die Geschichte des Menschengeschlechts eine Abfolge von Fortschritten und Rückschritten ohne allgemeine Verbes-