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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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163
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Privat-Vorlesungen: Markus Herz 163

dabei war jedem zeitgenössischen Leser gegenwärtig, daß das eigene Vernunft-Paradigma das kantische ist: An­schauungen ohne Begriffe sind blind, aber ein Studium, das sich allein auf Begriffe a priori ohne die Erfahrung gründet, ist erfolglos, schreibt Euchel in einer Kant-Para­phrase: Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauung leer. 250 Hier spielen Mendelssohns meta­physische «ewige Wahrheiten» schon zu dessen Lebzeiten philosophisch keine Rolle mehr. Bei aller Hochachtung für Mendelssohn, dessen erste, beinahe hagiographische Bio­graphie Euchel in hebräischer Sprache 1788, zwei Jahre nach dessen Tod, verfaßt hat, 251 ist Euchel ein jüdischer Kantianer.

2. Privat-Vorlesungen: Markus Herz

Gleiches gilt auch für den anderen, noch berühmteren ehemaligen Kant-Studenten unter den Maskilim, für den Arzt und Philosophen Markus Herz. Obwohl Herz mit Mendelssohn einen freundlichen und freundschaftlichen Umgang pflegt, liest er als erster Kantianer überhaupt ab 1778 philosophische Privat-Kollegia über Kants Philoso­phie in seinem Privathaus in Berlin und spielt damit eine Schlüsselrolle für die Vermittlung noch des vorkritischen Kant nach Berlin. Denn in diesen Kollegia ebenso wie in Herz Salon verkehren zeitweise nicht nur der Minister Zedlitz, sondern auch Mitglieder des Herrscherhauses. Und, natürlich, junge Maskilim wie Salomon Maimon, Isaak Euchel oder Saul Ascher. 1787 wurde Herz, der ein prominenter Berliner Arzt und zeitweise Direktor des Jüdischen Krankenhauses war, von Friedrich Wilhelm II. zum Professor für Philosophie ernannt: Der erste unge- taufte jüdische Professor für Philosophie in Deutschland ist ein Kantianer. 252 Obwohl Herz aufgrund seiner prakti­schen Tätigkeiten, wie er selbst beklagt, 253 in die Gedan­kenwelt des kritischen Kant kaum noch einzudringen ver-