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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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Wer war Saul Ascher? 185

und als ein Wegbereiter der modernen Pluralisierung des Judentums. 286 Aschers Überzeugung, daß die Halacha und alle ihre 613 Mizwot (Gebote und Verbote) weder der Modernisierung der Gesellschaft noch der Entwick­lung individueller politischer und moralischer Autonomie von Juden in der bürgerlichen Gesellschaft standhalten würde, war im 19. Jahrhundert, nach der Emanzipation der Juden in Preußen, evident. Aber die Diskussionen um die Reform des Judentums entspannen sich in aktuellen Büchern und Streitschriften, der Leviathan blieb verges­sen. 287 Im 19. Jahrhundert hat auch Ascher selbst, der in­zwischen ein renommierter jüdischer Publizist geworden war, sich nicht mehr zu Wort gemeldet und sich an den Diskussionen um eine Reform des Judentums nicht mehr beteiligt. Er hatte ein wegweisendes Buch zur falschen Zeit publiziert.

1. Wer war Saul Ascher?

Von Saul Ascher existiert kein Bildnis, aber wir verdanken Heinrich Heine ein höchst ironisches Porträt des alten Ascher, dem er in seinen Berliner Studientagen öfter be­gegnet ist. Ascher wird dort beschrieben als die verknö­cherte Inkarnation kantischer Rationalität, ein Aufklä­rungs-Fossil mit transzendentalgrauem Leibrock:

«Was ist Furcht? Kommt sie aus dem Verstände oder aus dem Gemüth? Ueber diese Frage disputirte ich so oft mit dem Doctor Saul Ascher, wenn wir zu Berlin, im Cafe Royal, wo ich lange Zeit meinen Mittagstisch hatte, zufäl­lig zusammen trafen. Er behauptete immer: wir fürchten etwas, weil wir es durch Vernunftschlüsse für furchtbar erkennen. Nur die Vernunft sey eine Kraft, nicht das Ge­müth. Während iph gut und trank, demonstrirte er mir fortwährend die Vorzüge der Vernunft. Gegen das Ende seiner Demonstrazion pflegte er nach seiner Uhr zu sehen, und immer schloß er damit: «Die Vernunft ist das höchste