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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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Sokrates von Berlin

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sonsten die Vorurteile gegen die Juden nur um so besser aufrecht erhalten. Jacobi und Hamann ihrerseits attackier­ten Lessing, wenn sie seinen erklärten Freund Mendels­sohn treffen wollten. Der jüdische Sokrates war so klug, vorsichtig und moralisch integer und bürgerlich recht­schaffen, daß man ihm beim besten Willen nichts anhän- gen konnte, was nicht, wie im Fall von Lavater, zur eige­nen Diskreditierung geführt hätte.

Erst recht wirkte Mendelssohns Rollenmodell inner jü­disch nach: Moses aus Dessau wurde zum Muster-Maskil, zum «Großen Israels» in der beinahe hagiographischen Musterbiographie Isaak Euchels , 327 die ein Beitrag zu den Toldot Gedolej Jisrael, zur aufgeklärt-profanen Ge­schichte der großen Männer Israels, sein sollte . 328 Men­delssohn wurde zur Ikone des jüdischen Bürgertums in Deutschland. Obwohl alle intellektuell bedeutenden Ver­treter der zweiten Generation von Maskilim nach Men­delssohn keineswegs dessen philosophische Position teil­ten, sondern philosophisch Kantianer waren, blieb Men­delssohn der Muster-Maskil, der kulturell zivilisatorisch, ästhetisch, intellektuell, ökonomisch, beruflich und gesell­schaftlich bei Juden wie Nichtjuden Anerkennung fand. Philosophisch und weltanschaulich gingen sie neue Wege, aber Mendelssohns Rollenmodell des tugendhaften Philo­sophen und Bürgers blieben sie verpflichtet. Bis ins Detail beeinflußte das Bild des jüdischen Sokrates die Bemühun­gen um die bürgerliche Verbesserung der Juden und ihre Akkulturation in der christlichen Mehrheitsgesellschaft.

Philosophisch und religiös nehmen die jüngeren Maski- lim wie David Friedländer, Markus Herz, Lazarus Benda- y id, Isaak Euchel, Aron Halle-Wolfssohn oder Saul Ascher nach dem Tod Mendelssohns ganz von ihm abweichende Positionen ein: Die Unsterblichkeit der Seele oder die Be­weise der Existenz Gottes in den Morgenstunden, welche für Mendelssohn ewige Vernunftwahrheiten gewesen wa- ren , sind durch Kants Kritiken erledigt; die Halacha, Rab­biner und rabbinische Tradition werden offen kritisiert