Sokrates von Berlin
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sonsten die Vorurteile gegen die Juden nur um so besser aufrecht erhalten. Jacobi und Hamann ihrerseits attackierten Lessing, wenn sie seinen erklärten Freund Mendelssohn treffen wollten. Der jüdische Sokrates war so klug, vorsichtig und moralisch integer und bürgerlich rechtschaffen, daß man ihm beim besten Willen nichts anhän- gen konnte, was nicht, wie im Fall von Lavater, zur eigenen Diskreditierung geführt hätte.
Erst recht wirkte Mendelssohns Rollenmodell inner jüdisch nach: Moses aus Dessau wurde zum Muster-Maskil, zum «Großen Israels» in der beinahe hagiographischen Musterbiographie Isaak Euchels , 327 die ein Beitrag zu den Toldot Gedolej Jisrael, zur aufgeklärt-profanen Geschichte der großen Männer Israels, sein sollte . 328 Mendelssohn wurde zur Ikone des jüdischen Bürgertums in Deutschland. Obwohl alle intellektuell bedeutenden Vertreter der zweiten Generation von Maskilim nach Mendelssohn keineswegs dessen philosophische Position teilten, sondern philosophisch Kantianer waren, blieb Mendelssohn der Muster-Maskil, der kulturell zivilisatorisch, ästhetisch, intellektuell, ökonomisch, beruflich und gesellschaftlich bei Juden wie Nichtjuden Anerkennung fand. Philosophisch und weltanschaulich gingen sie neue Wege, aber Mendelssohns Rollenmodell des tugendhaften Philosophen und Bürgers blieben sie verpflichtet. Bis ins Detail beeinflußte das Bild des jüdischen Sokrates die Bemühungen um die bürgerliche Verbesserung der Juden und ihre Akkulturation in der christlichen Mehrheitsgesellschaft.
Philosophisch und religiös nehmen die jüngeren Maski- lim wie David Friedländer, Markus Herz, Lazarus Benda- y id, Isaak Euchel, Aron Halle-Wolfssohn oder Saul Ascher nach dem Tod Mendelssohns ganz von ihm abweichende Positionen ein: Die Unsterblichkeit der Seele oder die Beweise der Existenz Gottes in den Morgenstunden, welche für Mendelssohn ewige Vernunftwahrheiten gewesen wa- ren , sind durch Kants Kritiken erledigt; die Halacha, Rabbiner und rabbinische Tradition werden offen kritisiert