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Die jüdische Aufklärung : Philosophie, Religion, Geschichte / Christoph Schulte
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209
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Diogenes von Berlin 209

4. Diogenes von Berlin

Was Mendelssohn für den zentralen Unterschied zwischen sich und Diogenes hielt, sagt er in der Vorrede zur ersten Auflage seiner Philosophischen Schriften von 1761, als Preußen sich im Siebenjährigen Krieg befand, aber Juden als Soldaten nicht zugelassen waren: «Ich befinde mich mit dem Diogenes in ähnlichen Umständen; mit dem Un­terschiede, daß er dem Staate aus cynischem Eigensinne nicht dienen wollte; ich nicht kann. Er wälzte mit vieler Behutsamkeit eine irdene Tonne; ich lasse kleine philoso­phische Ausarbeitungen wieder auflegen.» 339 Mendels­sohn will dem Staat dienen, als diskriminierter Jude kann er das jedoch nicht. Er hat philosophische Werke verfaßt und als Maskil für die bürgerliche Verbesserung der Juden gefochten in einem Staat, der ihm zeitlebens das Bürger­recht verweigerte. Er wollte, darin Sokrates ähnlich, sei­nem Staate loyal dienen und dachte über bessere Gesetze zum Nutzen aller nach, obwohl ihn dieser Staat ungerecht behandelte.

Ganz anders Salomon Maimon. In seiner Lebensge­schichte erzählt er, daß er schon in seiner Jugend mit sei­nem Freund Moses Lapidoth wie ein Kyniker lebte, un­abhängig, arm und schlecht gekleidet, fern der religiösen Kegeln und außerhalb der jüdischen Gemeinde und Ge­sellschaft. 340 Diesen Lebenswandel setzt er nach eigener Darstellung auch im Westen, in Berlin, fort. Er hat sich, soweit wir wissen, nie für einen bestimmten Staat ins Zeug gelegt, ganz bestimmt nicht für das verhaßte Polen und auch nicht für den preußischen König. Es gibt von Maimon weder politische Schriften noch eine politische Philosophie. Es ist nicht bekannt, daß er sich wie viele an­dere Maskilim inOBerlin für die «bürgerliche Verbesse­rung» der Juden in Preußen und ihre Gleichberechtigung uls Untertanen eingesetzt hat. Seine Sorge galt nicht dem Gemeinwohl, sondern dem eigenen leiblichen Wohl. Das