Diogenes von Berlin 215
schlechthin. Seine Übellaunigkeit und sein Menschenhaß sind stadtbekannt . 363 Seinem Hund, nicht einem Menschen wolle er seine Bibliothek vermachen, äußert er . 364
Seine Verachtung für bürgerliche Tugenden, seine Un- geniertheit und Schamlosigkeit in Gesellschaften , 365 sein vollkommenes Desinteresse an Staat und Gemeinwohl wird vervollständigt durch sein bisweilen blasphemisches Verhalten in Sachen der jüdischen Religion. In Amsterdam wird er als Ketzer vom Pöbel mit Steinen beworfen , 366 in Amsterdam, Breslau, Posen und vermutlich auch in Berlin aus jüdischen Häusern geworfen, weil er sich verbal oder in seinem Benehmen über Lehren und Rituale der jüdischen Religion lustig macht. Daß er in Hamburg beinahe sich hätte taufen lassen, bloß um in Ruhe das Gymnasium besuchen zu können und seiner vita contemplativa leben zu können, wußte alle Welt aus seiner Lebensgeschichte . 367 Dieses die jüdische Leserschaft mit Sicherheit schockierende Taufgesuch bei einem Hamburger Pastor ist in Maimons Lebensgeschichte wie ein Dialog auf dem Theater in Szene gesetzt und nicht aus anderen Quellen verbürgt, also eventuell sogar erfunden; in jedem Fall ist die Szene stark literarisch überarbeitet und im Wissen um die Schockwirkung dramatisiert. Der Pastor weist dort das Taufanliegen schließlich zurück, weil Maimon zu aufgeklärt ist, und Maimon repliziert, mit einem judenfeindlichen Klischee, er müsse bleiben was er ist, ein aufgeklärter «verstockter Jude». Diese' Szene ist einerseits eine literarische Antwort und Ohrfeige für Lavater und all jene, die meinen, ein Jude sei nur durch die Taufe ganz und gar aufklärungsfähig zu machen. Der Jude Salomon Maimon rst, das führt diese Szene exemplarisch vor, zu aufgeklärt für die Taufe. Er ist ohne Taufe am Gipfelpunkt der Aufklärung angekommen. Aber innerjüdisch verrät das Taufgesuch auch, daß Maimon das Judentum als Religion längst aufgegeben hat, sonst könnte er nicht bei einem so geringen Anlaß offen opportunistisch um die Taufe als Entreebillett zur höheren Bildung bitten. Nicht zuletzt